Der VW-Chef ist nicht zu beneiden. Erst die durch Ferdinand Piech ausgelöste „Distanzierungs“-Diskussion, dann der von Piëch verhinderte Wechsel „Wikos“ auf den Posten des Aufsichtsratschefs und nun das Eingeständnis, dass Volkswagen bei Abgasmessungen in den USA betrogen hat. Für Volkswagen ist das der Mega-Gau.
Die schwierigen US-Geschäfte dürften nun noch schwerer werden. Und Martin Winterkorn steht nun unglaublich unter Druck. Deutet er gar mit diesem Satz am Sonntag seinen Rücktritt an? „Die Geschehnisse haben für uns im Vorstand und für mich ganz persönlich höchste Priorität.“ Und weiter: „Ich persönlich bedauere zutiefst, dass wir das Vertrauen unserer Kunden und der Öffentlichkeit enttäuscht haben.“
War bis zum Machtkampf mit Piech die Winterkorn-Welt noch ziemlich in Ordnung, könnte es nun knüppeldick weitergehen. Da tröstet auch die Vertragsverlängerung als VW-Chef bis 2018 nicht über den kräftezehrenden Machtkampf und die nun zu führenden Verhandlungen mit der US-Behörde Environmental Protection Agency (EPA) hinweg.
Martin Winterkorn ist angeschlagen. Das war auf der IAA zu spüren und ist für Menschen, die ihn gut kennen, in jedem Fernsehauftritt deutlich geworden. Er strahlt nicht mehr jenes Selbstbewusstsein aus, das ihn früher begleitet hatte. „Eigentlich“, so ist ein Insider zu hören, „hätte er längst die Brocken hinschmeißen müssen.“ Spätestens mit der Äußerung Piëchs, er sei auf Distanz zu Winterkorn, hätte er Schluss machen müssen, sagt der Insider. „Allerdings ist Wiko ein Kämpfer, der nicht aufgibt, aber jetzt müsste er seiner selbst willen die Notbremse ziehen und sich zurückziehen.“
Winterkorn selbst würde wohl nicht an Rücktritt denken, „aber wenn er ehrliche Ratgeber im familiären oder befreundeten Umfeld hat, sollte er drauf hören“, wenn ihm zum Rücktritt geraten wird.
Auch ohne das US-Problem ist Winterkorn in einer schwierigen Lage. Er soll den Konzern umbauen, auch Dinge, die er selbst veranlasst hat, korrigieren: „Wie soll das gehen mit beschädigter Autorität und nur zwei Jahren Vertragsverlängerung?“
Dass Ferdinand Piëch als Machtfaktor zurück ist, dürfte Winterkorns Rücktritt wahrscheinlicher machen. Schließlich ist deutlich geworden, dass Piëch auch Wolfgang Porsche „überzeugt“ hat, Pötsch und nicht Winterkorn zum VW-Aufsichtsratschef zu machen. Wolfgang Porsche vertritt die Entscheidung, Pötsch zum Aufsichtsratsvorsitzenden zu machen, allerdings so überzeugend, als sei sie von ihm favorisiert worden. Tatsächlich hat er bis zuletzt für Winterkorn als künftigen AR-Chef gekämpft. Auf meine Frage auf der IAA, ob nicht auch Wolfgang Reitzle geeignet gewesen wäre, gab sich Wolfgang Porsche überzeugt: „Wir brauchen auf dieser Position einen Mann, der Volkswagen sehr gut gut kennt. Da reicht Auto-Sachverstand nicht aus.“ Außerdem, so Porsche, dürften Menschen im Zuge solcher Entscheidungen nicht beschädigt werden. Dass Martin Winterkorn nun als Beschädigter da steht, erwähnte Porsche nicht.
Das US-Thema dürfte die Personalentscheidungen im gesamten VW-Konzern berühren und das Unternehmen bis in die letzten Verästelungen lähmen. Jetzt geht es darum zu klären, wer die Betrügereien initiiert hat. Offensichtlich kam der Anstoß dafür von VW in den USA. „Da wollte jemand den Erfolg um jeden Preis, ohne darüber nachzudenken, wie gefährlich es ist, US-Behörden zu betrügen“, sagt ein deutscher VW-Mann. „Das hätte Winterkorn nie zugelassen, trägt aber jetzt die Verantwortung dafür.“
Die von der EPA als Obergrenze für die Manipulationen genannte Strafe von 18 Milliarden Dollar ist allerdings nur eine theoretische Summe. Weil VW bereit ist, alles offen zu legen, dürfe nur ein Bruchteil davon gefordert werden. Andererseits gilt: US-Behörden gehen gnadenlos mit nicht amerikanischen Firmen um, die amerikanische Bürger betrügen. Und so stellt es die EPA dar: Hier wurde die Gesundheit von Amerikanern aufs Spiel gesetzt. Da verstehen die Amis keinen Spaß. „Das kann an die Grenzen von VW gehen“, meint ein Kenner der Materie. Jeder Asthma-Anfall eines Amerikaners könnte zu einer folgenschweren Zivilklage führen.
Was wirklich schlimm ist: dass die Amerikaner nun endgültig die Nase vom Diesel voll haben könnten. Dann wären Mercedes-Benz und BMW ebenso betroffen, auch wenn sie sich bei allen Messverfahren absolut regeltreu verhalten haben. „Wer bei VW diese Software oder die Technologie zum Betrug der Testverfahren zu verantworten hat, sollte sich warm anziehen. Wenn das an einzelnen Personen festgemacht werden kann, ist neben einer Milliardenstrafe für den Konzern eine langjährige Gefängnisstrafe für die ausführenden Täter möglich“, meint ein US-Anwalt in Los Angeles.
Und was bedeutet das alles für Europa? Mit Sicherheit wird das Thema auch über den großen Teich schwappen. Die EU-Kommission hat schon vor längerer Zeit entsprechende Untersuchungen gemacht und bei hohen Lasten wie in den USA eine um das Vierzigfache über dem Grenzwert liegenden Wert bei den Stickoxiden (NOx ) festgestellt.
Wird hier gar langfristig das Ende des Diesels eingeläutet? Die Deutsche Umwelthilfe sieht sich durch das VW/US-Desaster bestätigt und kündigt an, Fahrverbote für Dieselfahrzeuge vor Gericht einzuklagen.
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