VW will mehr Volk wagen und Demut demonstrieren – kann Matthias Müller in den USA ein gutes Klima schaffen?

Erfahrene Marketing-Experten halten es für falsch, dass sich VW nun von dem ungemein treffenden Slogan „Das Auto.“ verabschiedet hat. Gerade VW hat sich in der Nachkriegsära um den Volkswagen verdient gemacht und die Wirtschaftswunder-Mobilität mit dem Käfer in Gang gebracht. „Das Auto.“ war ein genialer Marketing-Coup, dieses Grund-Element automobiler Entwicklung herauszustellen und auf den immensen Wolfsburger Beitrag zur Mobilmachung der ganzen Welt hinzuweisen. „Das Auto.“ ist das verbale Konzentrat einer epochalen Entwicklung (gewesen) und ist durch die banale Ergänzung „Volkswagen“ unter dem VW-Logo nicht zu ersetzen.

UnknownDer Marketing-Experte eines Autoherstellers, der nicht genannt werden will, hält den Abschied von ,Das Auto „für eine unüberlegte und nicht nachvollziehbare Kurzschlussreaktion auf den Diesel-Skandal“. Volkswagen wolle vielleicht ein wenig demütig erscheinen, erreiche aber das Gegenteil und wirke nun eher – angesichts der letzten Monate verständlich – verunsichert. „Sicher wurde diese Logo-Entscheidung kontrovers diskutiert, aber sie wurde meiner Überzeugung nach völlig falsch entschieden“, ist sich der Marketingmann sicher.

Mag sein, dass einigen in der Wolfsburg „Das Auto.“ ein wenig zu arrogant erschienen ist, besser konnte der Markenkern von Volkswagen aber nicht in Worte gekleidet werden. Volkswagen will sich nun offenbar bescheidener geben. Warum eigentlich? Baut das Unternehmen nicht hervorragende Autos? War denn alles falsch, was Martin Winterkorn entschieden und gefordert hat? Es ist schon bemerkenswert, wie schnell sich auch Medien im Winde drehen können, wenn ein Vorstands-Halbgott stürzt. Überschlugen sich manche Journalisten noch bis zur IAA 2015 in Elogen auf Martin Winterkorn, wird er auf einmal quasi als Anführer einer kriminellen Bande von Software-Betrügern dargestellt.

Dass Wiko gnadenlos gefordert hat, Widerspruch im Keim erstickt und eine Aura der Angst verbreitet haben mag, ist nicht zuletzt auch der Unfähigkeit eines Aufsichtsrats anzulasten, der sich nun kleinlaut jeder Verantwortung zu entziehen versucht. Dem Aufsichtsrat kann nicht entgangen sein, dass es ein Fehler war, die Konzernführung quasi dem Führungsduo Ferdinand Piëch und Martin Winterkorn alleine zu überlassen, ohne Vieles kritisch zu hinterfragen. Niemand wollte sich mit den beiden anlegen. Vielleicht war es der damalige Aufsichtsratschef Piëch, der mit seiner Anmerkung, auf Distanz zu Winterkorn zu sein, eine erkannte Fehlentwicklung verhindern wollte. Irgendwas Ernstes muss ihm ja missfallen haben.

Vielleicht ahnte Piëch bereits, dass der amerikanische Markt nicht nur in Bezug auf fehlende Stückzahlen ein Problemfall war, sondern auch in Sachen Abgasgesetzgebung ein Problem werden würde. Alles Spekulation. Aber Piëch hatte seine Gründe für seine Kritik. Schade nur, dass er sie so in die Welt gebracht hat.

Was hat Winterkorn von den Software-Manipulationen gewusst? Wenn die Ingenieure ihm gesagt haben, dass sie das Abgas-Problem in den USA gelöst hätten, hätte sich ganz sicher die Frage aufgedrängt: WIE? Auf welche Art und Weise die Grenzwerte eingehalten werden. Hat Winterkorn diese Frage gestellt, und wenn ja, war es da schon zu spät? Wer ihn bei seiner Rede am Konzernabend zur Frankfurter IAA genau beobachtet hat, spürte einen anderen Winterkorn: Er wirkte unsicherer als sonst, sein Optimismus kam irgendwie verklemmt daher, er wirkte nicht unbedingt wie der erfolgreiche Chef eines erfolgreichen Unternehmens.

Wie es bei VW weitergeht, hängt nicht nur von den Milliarden ab, die Volkswagen nun zu bezahlen hat. Da werden wahnwitzige Summen genannt, die hoffentlich unrealistisch bleiben. Dass nichts so heiß gegessen wird, wie es gekocht wird, ist eine Volksweisheit, die auch in diesem Fall ihre Berechtigung beweisen wird.

Dass der Umgang mit dem „Diesel-Thema“, wie es bei VW genannt wird, nicht in jedem Detail zur Verbesserung der Lage beiträgt, ist offensichtlich. Wenn das Verhalten gegenüber Kunden in den USA ein anderes ist als deutschen Kunden gegenüber, ist das der Öffentlichkeit hier kaum zu vermitteln. Allerdings kann es dem Konzern niemand verübeln, sich streng an gesetzlichen Vorschriften auszurichten. Wieso sollte VW in Deutschland Autos zurückkaufen, die allen europäischen Vorschriften entsprechen? Das mag deutsche Verbraucherschützer auf die Barrikaden treiben, aber es ist rechtlich völlig in Ordnung.

Dass es optisch nicht verbraucherfreundlich erscheint, wenn die Kunden in USA gleich mal einen Scheck über 1.000 Dollar erhalten, die Kunden in Europa aber nicht, ist logisch. Hier hätte VW durchaus über juristische Schatten springen können, um guten Willen zu zeigen. Paragraphen-Reiterei ist selten ein probates Mittel, für gute Stimmung bei den Kunden zu sorgen. Kundenorientierung wird mit dem Gefühl wahrgenommen, nicht von Paragraphen orientierter Engstirnigkeit. Wird Matthias Müller es schaffen, den Konzern aus der sturmgepeitschten See zu manövrieren? Vieles hängt jetzt davon ab, auf was er sich mit der Chefin der US-Umweltbehörde EPA, Gina McCarthy, einigt. Die zivilrechtliche Seite der Sammelklagen amerikanischer Kunden dürfte das kleinere Problem sein. Viele von ihnen hängen sich an jede Klage, die ein paar Dollar Gewinn verspricht. Und ein kostenloses neues Auto ist da kein kleiner Anreiz, sich ohne Kosten-Risiko einer solchen Klage anzuschließen.

Müller hat jetzt auch die Chance, einen von Volkswagen seit 30 Jahren gepflegten Grundfehler zu korrigieren: Während andere Hersteller von BMW bis Mercedes-Benz und Toyota alles getan haben, um als US Citizen anerkannt zu werden, blieb VW stets das deutsche Unternehmen ohne „familiäre“ Verbindungen in die amerikanische Gesellschaft.

BMW hat es am besten verstanden, mit seiner Fabrik in South Carolina zu einem amerikanischen Unternehmen zu werden. Da wurde der Gouverneur zu Grillparties eingeladen, die Bevölkerung mit lokalen Veranstaltungen überrascht, da wurden Ausbildungsplätze geschaffen, kulturelles Engagement gelebt. Mercedes-Benz hat das gleiche in Alabama absolviert, mit Erfolg. Toyota wird Dank seiner Fabriken in Kentucky und seiner totalen Integration in die US-Society von vielen als überwiegend amerikanische Firma wahrgenommen. Volkswagen ist weit davon entfernt, weil der spröde Umgang mit der amerikanischen Gesellschaft nie zu einer echten „Amerikanisierung“ der Marke beitragen konnte. VW hat sich nie einer „American Citizenship“ verpflichtet gefühlt. Das ist sicher mit ein Grund für den mäßigen US-Erfolg.

Die amerikanische Seele erwartet nicht nur Präsenz im Land, sondern die absolute Integration. Wie man bei BMW sieht, funktioniert das bestens. Kein europäischer Kunde würde je bemängeln, dass z.B. sein X5 in den USA vom Band gerollt ist. Subtil schwingt selbst für den amerikanischen X5-Käufer „Made in Germany“ mit, obwohl sein Auto aus South Carolina kommt.

Dass Matthias Müller erst jetzt in die USA gereist ist, halten Kenner des Szene für ziemlich spät. Einige Insider sagen, es sei zu spät. Schon vor der staatlichen Klageeinreichung in den USA hätte Müller das Gespräch suchen müssen. Nicht über Anwälte, sondern persönlich. Als Beispiel wird Akio Toyoda genannt, der sich mehrfach bei den Amerikanern für Produktionsmängel entschuldigt und dabei tief verbeugt hat, was allerdings japanische Sitte bei demonstrativer Reue ist.

Sollte Müllers Entschuldigungs-Mission in den USA scheitern, weil er sie nur als Erklärungs-, oder Aufklärungs-Mission versteht, zu wenig Demut erkennen lässt und die Karten zu zögerlich auf den Tisch legt, könnte es bei einer dramatischen US-Entwicklung in Sachen Strafzahlungen auch für ihn selbst eng werden. Zumal weil er noch viele andere Baustellen zu bearbeiten hat. So muss er zu Hause dafür sorgen, dass der Einfluss der Gewerkschaften auf unternehmerische Entscheidungen deutlich beschnitten wird. Mit einem SPD-Ministerpräsidenten im Aufsichtsrat eine Herkulesaufgabe. Betriebsratschef Osterloh hat schon Widerstand angekündigt.

Die Entwicklung bei Volkswagen bleibt spannend. Im VW-Vorstand sind eigentlich nur zwei zu sehen, die von der Vergangenheit absolut unbelastet und unverdächtig die Führung übernehmen könnten: Ex-BMW-Entwicklungschef und Markenvorstand Volkswagen, Herbert Diess, und Ex-Daimler-Vorstand Andreas Renschler, der für Daimler vor 18 Jahren das Werk in Spartanburg aufgebaut hat und seit einem Jahr als Vorstand die Nutzfahrzeug-Sparte im Volkswagen-Konzern leitet. Niemand könnte die beiden mit dem Diesel-Skandal in Verbindung bringen, weil sie quasi unangreifbare „Alibis“ vorweisen können. Sie waren noch nicht bei VW, als die Software aufgespielt wurde.

Am Sonntagabend hat Müller in Detroit angekündigt, weitere 900 Millionen Dollar in den Standort Chattanooga/Tennessee investieren zu wollen und damit 2000 neue Arbeitsplätze zu schaffen. Sicher ein guter Anfang, die kritischen Beziehungen zu den USA  zu verbessern.

 

 

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