Gastbeitrag von Harald Kaiser: Die Droge Eitelkeit

Wie das süße Gift die Sinne vernebelt und insbesondere Politiker und Manager glauben lässt, sie seien die Größten.

Mit ein wenig Phantasie kann man sie sehen, die eingebildeten kleinen Außenspiegel auf seinen Schultern. Auf jenen des neuen US-Präsidenten Donald Trump. Denn in die schaut der offenbar grenzenlos Eitle nahezu unentwegt und fragt sich bei seinen prüfenden Blicken: Sitzt die Föhnmatte aus vermutlich gelblich-orange gefärbter Watte und Haarsprayhalterung? Sehe ich scharf aus? Der vermeintlich Allmächtige aus New York mit derzeitigem Hauptwohnsitz in Washington hat nur auf sich scharfgestellt. Es geht um: Ich, ich, ich!

Harald Kaiser

Dabei ist das Prinzip des Brachial-Politikers, der gerne jeden beleidigt, statt höflich zu sein und Respekt zu zollen, trivial. Man kann den Eindruck haben, dass er sich als eine Art erwachsener Pampers-Rocker mit dem geruchsbetörenden Motto versteht: Mit vollen Hosen ist gut stinken. Nehmt Witterung auf! Ich bin der Macher! So führt er die größte Volkswirtschaft der Welt. Im Grunde aber nicht anders wie eine Pommessbude, bei der nur einer die Würste auf dem heißen Rost dreht, Ketchup anrührt, Colas eingießt und mit öligen Fingern die Kasse führt. An solchen Theken werden gern große Töne über geliebte oder verhasste Sportclubs gespuckt, die Unbeweglichkeit des verkrusteten Politikgeschäfts oder die Klüngelwirtschaft beklagt. Da will Trump mit der Axt ran. Sagt er. Ausgerechnet einer, der selbst mit jeder Faser, mit seinen Verbindungen wie auch dank seines angeblich riesigen Geldbergs sich dazuzählt zu dieser selbsternannten Elite. Bisher erwies sich seine Axt jedoch als stumpf.

Keine Ahnung, was solch eine politische Pleite bei dem präsidialen Scheinriesen auslöst. Zweifel etwa, dass er zu dem anspruchsvollen Amt doch nicht passt? Zumindest sind die nicht bemerkbar. Wenn sein amateurhaftes Handeln auch in anderen Dingen weder von Bundesgerichten noch von der Verfassung Grenzen gesetzt bekommt, gibt es eine andere Mechanik, die Hoffnung macht, dass die unentwegt twitternde Dampfwalze womöglich durch eine unterschätzte Macht gebändigt werden kann: Durch die Finanzmärkte. Denn man muss wissen, dass 42 Prozent der Schuldverschreibungen, also Staatsanleihen, die die USA für Billionen von Dollar verkauft hat, in ausländischen Händen sind. China oder Japan zum Beispiel. Schuldverschreibungen sind Vertrauenskapital, das bisher immer von der prosperierenden US-Wirtschaft gedeckt worden ist. Doch Vertrauen ist ein scheues Reh. Vor allem, wenn es um solche unvorstellbaren Summen geht, mit denen die USA bei den ach so ungeliebten Fremdländern brutal in der Kreide steht. Wittert das Reh Gefahr, will heißen: Verluste, dann sucht das aufmerksame Tier ganz schnell sicheres Terrain und schlägt sich in die Büsche.

„Uns treibt die Gier und die Macht“

Sollte demnächst also auch nur ein staatlicher Anleger die Nase voll haben von der Dampfhammerpolitik des Präsidenten, dann reicht in der Finanzwelt ein winziger Fingerzeig, um das investierte Geld zurück zu verlangen. Und zwar pronto per Mausklick. Mit anderen Worten: Dann kommt alles ins Rutschen. Die USA müsste schnell Billionen an Dollar rausrücken. Geld, das der gigantisch verschuldete Staat nicht hat. Es sei denn, die Gelddruckmaschinen würden angeschmissen, um die Gläubiger zu bedienen. Doch das reißt unweigerlich die Inflation wie die Preise nach oben und kostet Arbeitsplätze, die Trump doch so dringend schaffen will. Eigentlich müsste der Moneymaker im Weißen Haus wissen, um welch’ höchst filigranes Gebilde es sich bei den Staatsfinanzen handelt und vor allem auch dies: In der Finanzwelt gilt zwar an erster Stelle die Gier, aber in Verbindung mit dem politischen Parkett auch Diplomatie. Entweder hat Trump das wegen seiner andauernden und sorgenden Blicke um seine Schönheit in die eingebildeten Schulterspiegel aus den Augen verloren – oder er kennt die Sachlage nicht oder sie ist ihm egal. Denn es geht ja nur um einen: ihn.

Der Schreiber dieser Zeilen hat ähnliches Gebaren zwar nicht auf präsidialer Ebene, aber mit DAX-Vorständen erlebt. Denn die ebenfalls äußerst machtbewussten Herrschaften finden sich häufig nicht nur ähnlich wichtig, sie führen sich mitunter auch trumpesk peinlich eitel auf. An jenem Abend vor Jahren, an dem ich mich wie gestern erinnere, bekam mein Bild von Führungskräften und Vorbildern einen Riss. In einem Frankfurter Restaurant war ich mit zwei Vorständen zum Essen verabredet. Es war ein Abend während der Internationalen Automobil-Ausstellung. Beide kamen von Welt bekannten Autoherstellern. Das Treffen sollte für mich zu einer Art Positionsbestimmung der Elite werden, aber das konnte ich noch nicht wissen. Das Gespräch plätscherte bei einem schmackhaften Fischgericht so dahin. Wir sprachen über Autos, die unfähigen Politiker und den kurzen Glanz von Erfolgen. Nach dem Dessert knipste einer der Herren ein arrogantes Lächeln an, griff zum Champagnerglas, schaute seinem gleichrangigen Kollegen gegenüber in die Augen (mir nur ganz kurz) und verriet beim Anstoßen (auch mit mir) ein Geheimnis: „Ha, wir wissen doch, was uns treibt, die Gier und die Macht.“ Fast hätte ich mich verschluckt, als ich das hörte. Der direkt Angesprochene grinste breit. Ich weiß nicht, ob er überrascht darüber war, dass der Kollege „seine“ oder die „allgemeine“ Triebfeder der Macher verraten hat. Oder ob es ihm peinlich war wie mir. Jedenfalls: Der Satz wurde nicht einfach gesagt. Er wurde gerufen. So, dass sich die Gäste an den Nachbartischen zu uns umdrehten. Kurz darauf war das Dinner vorüber, wir gingen unserer Wege und längst sind beide auch nicht mehr in ihren Funktionen.

So mancher erliegt der Erotik eines Amtes

Ich bin damals im Glauben ins Hotel zurück gefahren, dass das ein Einzelfall gewesen sein müsse. Nach diesem Erlebnis habe ich mich gefragt, ob ich jemals Vorbilder hatte. Da war niemand, bei dem das Vorbild-Klischee zu 100 Prozent passt. Ich fühlte mich eher immer mal wieder inspiriert von Polit-Denkmälern wie Willy Brandt, Helmut Schmidt oder Richard von Weizsäcker. Vor allem der ehemalige Bundespräsident von Weizsäcker, dessen intellektuelle Brillanz mir bis heute Gänsehaut erzeugt. Ich kann nicht beantworten, ob ich mich an den genannten Figuren je orientiert habe oder dass ich mir von ihnen gar etwas abgeschaut hätte. Aber zumindest war immer der winzige Funken Hoffnung vorhanden, bei allen Kämpfen und Auseinandersetzungen dieser großen Männer könnte es sich um herausragende Staatsmänner handeln. Doch wie soll man das aktuell von jenem Präsident gewordenen Baulöwen erwarten, der unentwegt Schlagzeilen statt seriöser Politik produziert und der offenbar keinen inhaltlichen Antrieb außer des Ich-Antriebs zu kennen scheint, der nur der Erotik des Amtes erliegt?

Nur wenn jemand die Ochsentour ganz nach oben gegangen ist, dabei eisige Zeiten erlebt hat, sich manchmal nur mit Glück vor gefährlichen Abgründen retten konnte oder weil ein Mitstreiter ihm die helfende Hand hinstreckte, sich auf die Trittsicherheit anderer und Seilschaften verlassen musste, dann müsste solch einer wissen, worauf es ankommt: Vor allem auf Glaubwürdigkeit. Aber solche Typen ignorieren offenbar, dass sie nach der Ankunft auf dem Gipfel eigentlich Berge versetzen und Werte schaffen sollen. Oder sie hatten das gar nicht vor, als sie sich im Tal die Stiefel geschnürt haben für den langen Aufstieg. Vielfach geht es nur darum, mit möglichst wenig Aufwand und viel Blendwerk so manchen echten Könner abzuhängen, der sich nicht so gut in Szene setzen kann.

Überdosis Eitelkeit und maßloser Egoismuss

Ich weiß, es ist ein Vorurteil, aber ich ertappe mich seit dem Erlebnis mit den Vorständen beim Abendessen oft dabei, dass ich diese Image-Schablone raus krame, wenn ich mir ein Bild von einem Vorturner machen will oder muss. Das Schlimme ist: Auf viele passt sie. Nehmen wir nur einen Fall. Den schlimmsten, den es in der bundesdeutschen Nachkriegswirtschaft bisher gegeben hat: Jürgen Schrempp und seine längst in Trümmern liegende Welt AG aus Daimler-Benz, Chrysler und Mitsubishi. Dieser Typus Macher, der zehn Jahre (1995-2005) Daimler regierte, hat nicht nur Geld, sondern, viel schlimmer, Werte verschrottet. Werte, die in Geld nicht auszudrücken sind, sondern jene, wovon Unternehmen wie ganze Staaten in Wahrheit leben: Leidenschaft, exzellente Fachkenntnisse und Glaubwürdigkeit. Diese Werte wurden mit Schmackes gecrasht. Daraus ist zu lernen: Vielfach geht es nur um Getue. Um das Eitle der Pfaue beim Radschlagen. Das Dumme an negativen Vorbildern wie Schrempp ist jedoch, dass sich selbst bei seinem Rausschmiss vor mehr als zehn Jahren so mancher Streber gesagt haben dürfte: „Ich weiß gar nicht, was ihr wollt, finanziell hat sich der Mann doch saniert.“ So werden Egoismus und die Überdosis Eitelkeit, womit der Welt die eigene Führungspotenz demonstriert werden soll, zur allgemeinen Handlungsmaxime erhoben. Siehe Trump oder Schrempp. Ihr Playmate ist der Kontoauszug.

Kommentar hinterlassen zu "Gastbeitrag von Harald Kaiser: Die Droge Eitelkeit"

Hinterlasse einen Kommentar

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*