Das will Volkswagen nicht auf sich sitzen lassen: den Vorwurf, die Öffentlichkeit, vor allem die des Kapitalmarktes, zu spät von den hohen Kosten für die Diesel-Manipulation informiert zu haben. In einer gestern Abend veröffentlichten Pressemitteilung kündigt Volkswagen an, sich gegen entsprechende Klagen von Aktionären juristisch zu wehren. Die Volkswagen AG hat nun vor dem Landgericht in Braunschweig Klageerwiderung eingereicht.
Die Pressemitteilung im Wortlaut: „Nach sorgfältiger Prüfung durch interne und externe Rechtsexperten sieht sich das Unternehmen in der Auffassung bestätigt, dass der Volkswagen-Vorstand seine kapitalmarktrechtliche Publizitätspflicht ordnungsgemäß erfüllt hat. Das Unternehmen legt Wert darauf, dass diese Prüfung nicht die gegenwärtig noch andauernde unabhängige Untersuchung zur vollständigen Aufklärung der Diesel-Thematik durch die Anwaltskanzlei Jones Day ersetzt. Volkswagen nimmt nunmehr öffentlich Stellung, um die aus Unternehmenssicht selektive und unvollständige Veröffentlichung von Dokumenten in den Medien über die Diesel-Thematik richtigzustellen und zu vermeiden, dass nunmehr auszugsweise über die Klageerwiderung berichtet wird. Unabhängig davon bedauert Volkswagen die Vorkommnisse im Zusammenhang mit der Diesel-Thematik zutiefst. Volkswagen hält die anhängigen Aktionärs-Klagen für unbegründet, da jede Ad-hoc-Pflicht voraussetzt, dass die für die Erfüllung dieser Pflicht verantwortlichen Personen Kenntnis eines kursrelevanten Sachverhalts erlangen und die wirtschaftlichen Auswirkungen dieser Information abschätzen können. Im Zusammenhang mit der Diesel-Thematik ergab sich eine Kursrelevanz erst am 18. September 2015, als die Verletzung US-amerikanischer Umweltschutzrichtlinien bekannt gemacht wurde. Bis dahin gab es keinerlei Anzeichen für börsenkursrelevante Informationen, denn bis zu diesem Zeitpunkt war von einer überschaubaren Fahrzeug-Anzahl (etwa 500.000) und Bußgeldern in einem zweistelligen oder unteren dreistelligen Millionen-Bereich auszugehen, wie in der Vergangenheit in den USA in vergleichbaren Fällen im Zusammenhang mit Personenkraftfahrzeugen verhängt. Die Diesel-Thematik schien nach bestem Kenntnisstand durch übliche und damit kursneutrale Maßnahmen einschließlich wirksamer technischer Lösungskonzepte beherrschbar. Das nach dem 18. September 2015 in der Öffentlichkeit diskutierte mögliche Strafmaß von maximal 18 Mrd. US-Dollar wurde in anderen Fällen nicht einmal ansatzweise ausgeschöpft. Nachdem im Anschluss an die „Notice of Violation“ eine erste belastbare Zahlenbasis über die weltweiten Risiken ermittelt worden war, wurde diese vorläufige Abschätzung am 22. September 2015 unverzüglich ad-hoc gemeldet. Die umfassende Untersuchung im Auftrag des Aufsichtsrates von Volkswagen bezüglich der Vorgänge und Verantwortlichkeiten rund um die Diesel-Thematik wird fortgeführt. Jones Day analysiert gigantische Datenmengen: 102 Terabyte wurden insgesamt sichergestellt; eine Menge, die etwa 50 Mio. Büchern entspricht. Wie bereits angekündigt wird Volkswagen über die vorläufigen Ergebnisse dieser Untersuchung in der zweiten Aprilhälfte berichten. Der Ausgangspunkt der Diesel-Thematik war rückblickend die strategische Entscheidung von Volkswagen im Jahr 2005, in den USA eine groß angelegte Dieseloffensive zu starten und dieser in Europa damals bereits sehr erfolgreichen Technologie auch in den USA zum Durchbruch zu verhelfen. Zu diesem Zweck sollte mit dem Motortyp EA189 ein neues Diesel-Aggregat entwickelt werden, das leistungsstark ist und zugleich kosteneffizient produziert werden kann. Die US-Grenzwerte für Schadstoffemissionen sind streng. Nach dem damals strengsten Standard in den USA durften nur 31 mg/km Stickoxide (NOx) emittiert werden – rund sechs Mal weniger als nach der zu jener Zeit in Europa gültigen EU5-Norm. Bei der Konstruktion moderner Dieselmotoren stehen Techniker und Ingenieure vor der Herausforderung, dass jede Maßnahme zur Stickoxid-Reduktion dazu führt, dass bei anderen Parametern (bspw. CO2) Abstriche gemacht werden müssen. Um diesen Zielkonflikt im Rahmen der Zeit- und Kostenvorgaben für den EA189 zufriedenstellend zu lösen, entschloss sich nach bisherigem Erkenntnisstand in der Folgezeit eine Gruppe von Personen, die im Einzelnen aktuell noch ermittelt werden, auf Ebenen unterhalb des Konzern-Vorstands im Bereich Aggregate-Entwicklung dazu, die Motorsteuerungssoftware zu verändern. Mit diesem Eingriff in die Software wurden auf dem Teststand Abgaswerte erzeugt, die sich signifikant von den unter realen Fahrbedingungen erzeugten Werten unterschieden. Es handelte sich dabei um einen punktuellen, aber schwerwiegenden und von Volkswagen nachdrücklich bedauerten Eingriff in die Motorsteuerungssoftware, der aber durch relativ kleine Veränderungen innerhalb des für die Entwicklung der Steuerungssoftware verfügbaren Budgets möglich war, ohne hierbei übergeordnete Stellen einbeziehen zu müssen. Nur einige wenige von insgesamt rund 15.000 einzelnen Algorithmen wurden modifiziert. Hinweise auf Unregelmäßigkeiten beim Abgasverhalten des EA189 ergaben sich für die kalifornische Umweltbehörde California Air Resources Board (CARB) aus der vom International Council on Clean Transportation (ICCT) im Mai 2014 publizierten Studie. Dieser Studie zufolge wichen die Stickoxidwerte zwischen Prüfstand und Straße bei zwei VW-Fahrzeugen deutlich stärker voneinander ab, als dies unter normalen Umständen erwartbar gewesen wäre. Daraufhin bat die CARB die Volkswagen Group of America (VW GoA) um Erläuterung. In den Folgemonaten wurden bei Volkswagen deshalb intern Nachmessungen durchgeführt. Während eines Treffens mit CARB am 2. Dezember 2014 hat VW GoA schließlich das Angebot unterbreitet, im Rahmen einer ohnehin für Dezember 2014 geplanten Service-Maßnahme für den nordamerikanischen Markt eine Neukalibrierung der Dieselmotoren vom Typ EA189 der ersten und zweiten Generation durchzuführen. Am 23. Mai 2014 wurde eine Notiz über die ICCT-Studie für Martin Winterkorn, seinerzeit Vorstandsvorsitzender der Volkswagen AG, erstellt. Diese Notiz wurde seiner umfangreichen Wochenendpost beigelegt. Ob und inwieweit Herr Winterkorn von dieser Notiz damals Kenntnis genommen hat, ist nicht dokumentiert. Am 14. November 2014 gab es eine weitere Notiz an ihn, in der unter anderem über mehrere damals aktuelle Produktschadensfälle berichtet wurde und in der von einem Kostenrahmen von ca. EUR 20 Mio. für die Diesel-Thematik in Nordamerika die Rede war. Nach aktuellem Kenntnisstand erfuhr die Angelegenheit, da sie vielmehr als ein Produktthema unter vielen behandelt wurde, zunächst auf den Führungsebenen bei Volkswagen keine besondere Aufmerksamkeit. Entsprechend lag auch die Zuständigkeit innerhalb von Volkswagen beim „Ausschuss für Produkt-Sicherheit“ (APS). Emissionsabweichungen zwischen Prüfstands- und Straßenbetrieb kommen bei allen Automobilherstellern vor und sind keineswegs automatisch auf Regelverstöße zurückzuführen. Bei weltweit agierenden Automobilherstellern sind Servicemaßnahmen und Rückrufaktionen nichts Außergewöhnliches. Dass sich dies nun rückblickend anders darstellt, bedauert Volkswagen ausdrücklich. In von CARB durchgeführten Nachtests erwies sich in der Folgezeit die freiwillige Service-Maßnahme bei den betroffenen Motoren für den nordamerikanischen Markt als nicht ausreichend, um die Stickoxid-Emissionen auf ein akzeptables Niveau zu senken. Im Sommer 2015 richtete der APS eine eigene Diesel-Taskforce ein. Zudem wurde die US-Anwaltskanzlei Kirkland & Ellis beauftragt, Volkswagen in Bezug auf amerikanische emissionsrechtliche Fragestellungen zu beraten. Nach aktuellem Kenntnisstand besprachen sich am 27. Juli 2015 einzelne Volkswagen-Mitarbeiter am Rande einer regelmäßig stattfindenden Besprechung über Schadens- und Produktthemen unter Anwesenheit von Martin Winterkorn und Herbert Diess zur Diesel-Thematik. Konkrete Details dieser Besprechung sind derzeit noch nicht rekonstruiert. Es ist insbesondere nicht geklärt, ob zwischen den Beteiligten bereits zu diesem Zeitpunkt ein Verständnis davon gegeben war, dass die Softwareveränderung gegen US-amerikanische Umweltvorschriften verstieß. Herr Winterkorn forderte eine weitere Aufklärung des Sachverhalts. Ende August 2015 wurde Juristen der Volkswagen-Rechtsabteilung sowie den US-Anwälten von Kirkland & Ellis von Volkswagen-Technikern schließlich vollständig erläutert, welche technischen Ursachen die festgestellten Unregelmäßigkeiten beim Stickoxidausstoß in den USA hatten. Diese detaillierten Erläuterungen führten bei Mitgliedern des Volkswagen-Vorstands zu der Erkenntnis, dass es sich um eine Softwareveränderung handelte, die nach US-Recht als unzulässiges Defeat Device zu klassifizieren war. Es wurde daraufhin besprochen, dass diese Erkenntnis gegenüber CARB und EPA transparent zu kommunizieren sei. Dies geschah im Rahmen eines Treffens mit den US-Behörden am 3. September 2015, worüber Martin Winterkorn durch eine Notiz vom 4. September unterrichtet wurde. Volkswagen wurde dahingehend beraten, dass Defeat Device-Verstöße nach US-amerikanischem Umweltrecht durch andere Hersteller bislang stets im Vergleichswege mit Bußgeldzahlungen geahndet wurden, die für ein Unternehmen mit der Größe Volkswagens nicht besonders hoch seien. Auch die bislang höchste Strafzahlung von 100 Mio. US-Dollar, die im Jahr 2014 verhängt wurde, blieb am unteren Ende des gesetzlichen Strafrahmens. Betroffen waren seinerzeit rund 1,1 Mio. Fahrzeuge, was einer Strafe von gerade einmal rund 91 US-Dollar pro Fahrzeug entsprach. Vor dem Hintergrund dieser Empfehlung bestand die Erwartung, dass die Thematik mit den US-Behörden durch die Offenlegung der Softwareveränderung, die Vereinbarung geeigneter Maßnahmen zur Wiederherstellung eines rechtmäßigen Zustands der Fahrzeuge sowie etwaige Bußgeldzahlungen im üblichen Rahmen gelöst werden könne. Anfang September 2015 schien die Auswirkung der Diesel-Thematik noch auf die USA begrenzt zu sein. Unmittelbar nach der aufgrund des bisherigen Gesprächsverlaufs mit den US-Behörden unerwarteten Bekanntmachung am 18. September 2015 und der damit verbundenen Öffentlichkeitswirkung, wurde eine eigens zusammengestellte Arbeitsgruppe unter Beteiligung der Konzern-Revision aufgefordert, mit Hochdruck die Sachverhaltsermittlungen voranzutreiben. Die Abschätzung der konkreten, aus dieser Thematik resultierenden weltweiten Risiken bedurfte einige Tage Zeit und wurde, als dann eine halbwegs belastbare, aber noch vorläufige Zahlenbasis ermittelt worden war, am 22. September 2015 ad-hoc gemeldet.“ |
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