Fahrbericht VW Polo: Das Format wahrer Größe

Mein erster Neuwagen war ein VW Polo, der 1978 noch ein echter Kleinwagen war, zügig gefahren gut 10 Liter Benzin für je 85 Pfennig auf 100 Kilometer verbrannte, 50 PS aus vier Zylindern generierte und in der verklärten Erinnerung wohl weit unter 9.000 D-Mark gekostet hat. Der von uns aktuell gefahrene Polo hat nur den Namen mit seinem Ur-Ahnen gemeinsam, ist mittlerweile auf das Golf-Format jener Tage angewachsen und bietet Technologien, von denen Ende der Siebziger niemand zu träumen gewagt hätte.

Wenn man diesen Zeitensprung automobiler Entwicklung richtig würdigt, bleibt einem von Ehrfurcht die Luft weg.

 

Das Design ist im Laufe der Jahre positiv gereift. Fotos:VW

Hätten wir uns damals träumen lassen, automatisch zum Vorausfahrenden auf Abstand gehalten zu werden? Wagten wir uns vorzustellen, dass unser Polo Verkehrszeichen erkennen kann und vor der Einfahrt in eine Stadt automatisch das Tempo auf 50 km/h reduziert? Der Polo antizipiert Tempolimits sogar, bevor er das entsprechende Verkehrszeichen erkannt hat. War es denkbar, dass uns ein Kleinwagen gedankenlose Nachlässigkeiten verzeiht und automatisch die Fahrspur hält, wenn wir für eine Sekunde unaufmerksam waren? Allerdings klingt das besser, als es ist. Mich haben diese Lenkeingriffe eher störend irritiert als beruhigt. Ich würde darauf verzichten, bis es Autos gibt, die wirklich autopilotiert fahren (können). Die jetzt verfügbare Spurhaltung nervt für mein Gefühl mehr, als sie nutzt. Trotzdem hat sie ihre Berechtigung, wenn sie tatsächlich hilft, Unfälle zu vermeiden. Kurzum: Technologisch bewundernswert, praktisch eher nervig. Dies ist jedoch eine höchst persönliche Einschätzung, die niemand teilen muss.

Auch der erste VW Golf GTI hatte 110 PS

Hätten wir als Besitzer eines Polos aus den Siebzigern es für möglich gehalten, dass wir mit drei Zylindern und 110 PS richtig gut unterwegs sein würden? Und dabei mit fünfeinhalb bis sechseinhalb Litern Benzin auf 100 Kilometer auskommen würden? Wie gesagt, mein 50-PS-Polo verbrannte trotz zurückhaltender Fahrweise locker 10 Liter! Nirgendwo sonst zeigt sich der technologische Fortschritt bei allen Autos so deutlich wie beim Kraftstoffverbrauch. Und beim Schadstoffausstoß, was von den Autokritikern nur zu gerne unterschlagen bzw. ignoriert wird.

Unser Testwagen Polo Style 1,0 l TSI kommt mit der gleichen PS-Leistung daher wie 1975 der erste Golf GTI: 110 PS. Die Diskussionen in unserer Redaktion damals habe ich noch im Ohr: 110 PS sind für den Golf doch viel zu viel. Und heute im Polo empfinden wir sie als genau richtig, um zügig auf der Autobahn mitzuschwimmen oder überholen zu können.

Das Doppelkupplungsgetriebe hat sportiven Charakter

Das Doppelkupplungstriebe schaltet angemessen, erscheint aber beim Anfahren etwas ruppig zuzubeißen. Unterwegs findet die Schaltung sehr zuverlässig und schnell die passende Übersetzungsstufe. Wie gesagt, so komfortabel wie eine Wandlerautomatik läuft der Schaltvorgang nicht ab, andererseits empfindet man die Schaltvorgänge hier immer auch ein wenig positiv sportlich. Alles in allem tut das dem Komfort keinen Abbruch. Apropos Komfort: Federung und Dämpfung sind nicht zu beanstanden, sie sind sowohl Landstraßen und Autobahnen hervorragend gewachsen, selbst wenn diese erhebliche „Dellen“ aufweisen.

„IQ.Drive“ bietet teilautomatisiertes Fahren

Es gibt Sonderausstattungen, die überflüssig sind (oder sein können, weil der Kunde das zu entscheiden hat), wie die Sonderfarbe des Testwagens Vibrant Violet Metallic für 540 Euro. Dagegen erscheint uns das Assistenzpaket „IQ.Drive“ nachgerade unabdingbar. Für preiswerte 405 Euro bekommt der Käufer ein Assistenzsystem, das tatsächlich einen hohen Intelligenzquotienten aufweist. Dabei verschmelzen unter anderem das neue prädiktive „ACC“ (automatische Distanzregelung) und der Spurhalteassistent „Lane Assist“ zu einem neuen Assistenzsystem und ermöglichen so das teilautomatisierte Fahren bis 210 km/h.

Das Digitale Cockpit macht den „Kleinwagen“ zu einem Großen

Abstand halten, kamerabasierte Verkehrszeichenerkennung, vorausschauende Tempoanpassung an Kurven und – wie gesagt – vor Ortseinfahrten. Dass der Fahrer immer die Hände am Lenkrad halten muss und damit die Verantwortung behält, soll hier – obwohl eigentlich selbstverständlich – nur am Rande erwähnt werden. Die Rückfahrkamera erscheint uns ebenso absolut sinnvoll, für 280 Euro ein absolutes Muss. Dies gilt auch für das professionelle Navigationssystem Discover Pro, das allerdings mit 1670 Euro nicht gerade billig ist.

Das Fahren im Polo macht Spaß. Es ist sehr gut abgestimmt und entspricht damit weitgehende jedem Anspruch zwischen sportlich und kommod. Der Polo ist keine Sänfte, sondern ein praktischer Allrounder, der zur kleinen Familie genauso passt wie zum mobilen Single.

Technischer Fortschritt will bezahlt werden

Wo ist der Haken am Fortschritt? Den gibt es nicht. Denn der Preis gehört nicht zum Fortschritt. Das meine ich nicht ironisch, sondern ganz sachlich. Die technische UND technologische Entwicklung über Jahrzehnte, an der viele hundert Ingenieure getüftelt haben, haben nun mal viel Geld gekostet.

Das Design erscheint auch von hinten sehr erwachsen

Zwar ist der Grund-Preis für unseren Polo Style 1,0 OPF mit 110 PS und ordentlicher Serienausstattung von 27.300 Euro noch im grünen Bereich angesiedelt. Dass unser „Kleinwagen“ mit üppiger Sonderausstattung sogar die 35.000-Grenze überspringt, zeigt, dass der sagenhafte Fortschritt nicht nur genutzt werden kann, sondern auch bezahlt werden muss. Gemessen an meinem ersten Polo ist das glatt eine Versiebenfachung des Kaufpreises. Allerdings verdienen wir auch das Mehrfache von damals.

Dass der VW Polo mit über 18 Millionen gebauten Fahrzeugen zu den erfolgreichsten Autos überhaupt gehört, versteht sich von selbst. „Dieser kleine Volkswagen ist ein ganz Großer“, lobt VW den Polo selbst. Das können wir so stehen lassen. Oder wir drücken es anders aus: Der Polo hat das Format wahrer Größe.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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