Der BMW-Sündenfall: Marketing und Pressearbeit in einer Hand

Wird die Unternehmens- und Produktkommunikation zum reinen Marketing-Instrument? Diese fatale Entwicklung wird von BMW künftig ganz offiziell praktiziert. Ein Tabubruch, der sich bitter rächen könnte. Oder sind die Sitten inzwischen dermaßen degeneriert, dass das Marketing nicht mehr von der Unternehmens-Kommunikation, also der klassischen Pressearbeit zu unterscheiden ist?

Vielleicht ist es einfach der Zeitgeist, der allenthalben um sich zu greifen scheint. War es noch vor nicht allzu langer Zeit nachgerade grundgesetzlich verankert, dass Journalismus nichts mit bezahlter Werbung zu tun haben darf, haben sich beide Aufgabenfelder immer mehr einander angenähert, sich zuweilen subtil vermischt. Beispielsweise indem Fachzeitschriften bezahlte Sonderthemen für Autohersteller gut bezahlt ins Heft integrierten. Quasi als Finanzierungsausgleich für drastisch sinkende Auflagen- und Anzeigen-Erlöse. Der Leser merkt es eh nicht, dass die Texte von der jeweiligen Firma zwar nicht formuliert, aber inhaltlich vorgegeben wurden. Darf der Zweck die Mittel heiligen? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass künftig das BMW-Marketing die Bilanz-PK veranstaltet. Ich hoffe, dass ich da was falsch verstanden habe.

Was wird aus dem Ethos kritischen Journalismus?

Mit der offiziellen Ansage von BMW, beide Kommunikationsfelder zu „verzahnen“ und in eine zentral steuernde Hand zu geben, ist ein massiver Verstoß gegen den seit Generationen geltenden Ethos journalistischer Arbeit. Ich habe noch keinen Marketingmann und keine Marketingfrau getroffen, der/die verstanden hätte, wie Redaktionen/Journalisten arbeiten, wie sie zu informieren sind und was sie erwarten (dürfen).

BMW Marketing-Chef Dr. Jens Thiemer

Wie ich das Zusammenwirken zwischen Unternehmen und Journalisten bislang verstanden habe, gibt/gab es eine absolute Trennung zwischen den „Werbeleuten“ in einem Unternehmen und der Presseabteilung. Nie wäre ich auf die Idee gekommen, im Marketing anzurufen, um kritische Fragen zu einem Produkt zu stellen. Als Chefredakteur von verschiedenen Kundenzeitschriften wollte mir natürlich oft die Marketingabteilung vorschreiben, wie ein Produkt zu kommunizieren sei.

Als ich einmal den Ex-CEO von Daimler-Benz, Prof. Werner Breitschwerdt, bat, mit mir in der damals neuen S-Klasse mit einem Vierzylinder-Diesel zu fahren, monierte er nach der Testfahrt „ein Brummen in einem bestimmten Drehzahlbereich“. So hat er´s gesagt, so hab ich´s geschrieben. „Wir können doch nicht zulassen, dass unser Ex-Chef die S-Klasse kritisiert“, ereilte mich kurz vor Drucklegung des Mercedesmagazins der Anruf des Marketing-Leiters. Aus seiner Sicht völlig zu Recht. Aber nicht im Sinne journalistischer Glaubwürdigkeit. Mit meiner Drohung, dass ich dann CEO Dieter Zetsche anrufen und um eine Entscheidung bitten würde, war das Thema in meinem Sinne erledigt. Und der damalige Entwicklungschef Dr.Thomas Weber fand die gedruckte Kritik – es war nur ein kurzer Satz – sogar richtig und freute sich, dass sein Vorgänger im Entwicklungsressort auf das Brummen hingewiesen hat. Das Brummen wurde zeitnah durch Dämmmaterial eliminiert – und alle waren zufrieden.

Für Marketing muss ein Unternehmen bezahlen

Nach meiner festen Überzeugung müssen Marketing und Kommunikation in einem Unternehmen getrennt bleiben. Es spricht nichts dagegen, dass sie dieselben Botschaften vermitteln, aber in unterschiedlichen Sprachen. Wenn BMW-Marketingchef Thiemer nun von „oft überhöhter und künstlich gepflegter Trennung von Marketing- und Unternehmens- Kommunikation“ spricht, wird deutlich, dass er das journalistische Verständnis der Presseabteilung und die journalistische Leistung der Journalisten in den Redaktionen nicht wertschätzt, um es zurückhaltend auszudrücken. Marketing zum Mittelpunkt des unternehmerisch kommunikativen Wertekanons zu machen, um den sich alles zu drehen hat, ignoriert die grundsätzlichen Unterschiede beider Disziplinen.

Für Kommunikation braucht es Argumente

Für Marketing muss ein Unternehmen bezahlen. Für Kommunikation braucht es Argumente. Anders ausgedrückt: Das Marketing kauft sich auf den unterschiedlichsten Plattformen ein, um seine Botschaften zu vermitteln. Öffentlichkeitsarbeit muss inhaltlich und substantiell überzeugen, um von den Medien aufgenommen und verbreitet zu werden.

BMW-Kommunikationschef Maximilian Schöberl

Das Marketingsprech der BMW-Pressemitteilung zur Neuorganisation der Kommunikation bestätigt die . „Die BMW Group verspricht sich davon eine effektive Orchestrierung der Bereiche Brand Campaign, Brand Experience, Brand Content, Brand Protection und Public Relations. Strategisch entwickelte und aufeinander abgestimmte Marken- und Unternehmensnarrative werden künftig zielgruppen- und kanalgerecht vermittelt. Zudem wird die gesamte Kommunikation datengetrieben und in Echtzeit auf die Resonanz des Publikums sowie aktuelle Entwicklungen dynamisch angepasst.“ Da tränen einem die Augen.

Und weiter heißt es: „Die künftig holistisch angelegte Kommunikationsstrategie gewährleistet, dass sowohl das Unternehmen als auch die Marke BMW über alle Berührungspunkte hinweg in einer Tonalität und Haltung mit den jeweiligen Zielgruppen in einen Dialog treten.“ Ich bin gespannt, ob dieser Ansatz in den renommierten Redaktionen verstanden und akzeptiert wird.

Am Lagerfeuer des Storytellings

„Die strikte Trennung der Unternehmens- und Marketing-Kommunikation in B2B einerseits und B2C andererseits entspricht nicht mehr den Realitäten der Kommunikation im 21. Jahrhundert. Am digitalen Lagerfeuer zählen die besten Geschichten und die wertvollsten Informationen“, sagt Maximilian Schöberl, oberster Kommunikator der BMW AG. „One Voice ist in der Unternehmenskommunikation bei der BMW Group bereits realisiert – nun starten wir in ein neues Zeitalter der Zusammenarbeit mit dem Marketing und der Markenkommunikation. Gerade in einer Zeit des rasanten Wandels sind wir gefordert, innovative Lösungen zu entwickeln und nicht nur mit unseren Produkten an der Spitze zu stehen, sondern auch die modernste und innovativste Kommunikations-Infrastruktur im Markt zu entwickeln. Wir erleben eine Renaissance der Öffentlichkeitsarbeit.“

Es klingt wie der Urknall eines neuen kommunikativen Universums, dessen Gravitationswellen auch in der Medienwelt Spuren hinterlassen werden. Bleibt zu hoffen, dass die Marken-Botschaften am Ende nicht in einem Schwarzen Loch verschwinden, aus dem kein Licht mehr nach außen dringt, um das Lagerfeuer des Story-Tellings am Brennen zu halten.

„Maßgeschneidertes Agenturmodell“

BMW habe dafür mit TheGame Group ein maßgeschneidertes Modell aus einigen der besten und profiliertesten Agenturen Europas gewählt. Als Gesellschafter der TheGame Group agieren die Experience One GmbH sowie die Jung von Matt AG. Die Agentur werde für die ersten Jahre exklusiv für die BMW Group arbeiten. „Unternehmen müssen immer mehr zu Sendern ihrer eigenen Marken werden, wenn sie relevant bleiben und eine Community adressieren wollen. Deshalb verstehen wir Marke als Medienplattform“, so BMW-Marketingchef Jens Thiemer.

„Deutungshoheit und effiziente Dialogfähigkeit kann in einer zunehmend fragmentierten Medienlandschaft nur dann erreicht werden, wenn man die Kräfte bündelt und sich fokussiert. Mit unserem Ansatz schaffen wir einen neuen Standard moderner Kommunikation.“

TheGame Group sei eine maßgeschneidert auf die Bedürfnisse von BMW ausgerichtete Agentur. Sie komplettiere damit das neue Agenturmodell, das BMW im Herbst des vergangenen Jahres mit der Gründung von THE MARCOM ENGINE OS etabliert habe: „Während die THE MARCOM ENGINE OS die Aufgabe übernimmt, die gesamte digitale Produkt-Kommunikation in allen europäischen Märkten zu befähigen, gilt für TheGame Group sich auf die innovative, datengestützte, hochqualitative Kreativ- und Strategiearbeit in der Unternehmens- und Markenkommunikation zu fokussieren. Mit einem Höchstmaß an Kreativität und Effizienz soll künftig die Marke über alle Kanäle hinweg international inszeniert werden“, heißt es weiter in der BMW-Pressemitteilung.

Good Luck!

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

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