Detroit 2018: Eine Messe im Sinkflug – Gastbeitrag von Jens Meiners

Mercedes-Benz Neujahrsempfang am Vorabend der North American International Auto Show (NAIAS) 2018. Weltpremiere der neuen Mercedes-Benz G-Klasse. Mercedes-Benz New Year's Reception on the eve of the 2018 North American International Auto Show (NAIAS). World Premiere of the new Mercedes-Benz G-Class.

Die Cobo Hall am Detroit Rover hat schon bessere Zeiten gesehen. Das 1960 eröffnete, von innen immerhin auf dem Stand der 90er-Jahre befindliche Messegelände ist seit 1965 Standort der vom Detroiter Händlerverband alljährlich ausgerichteten Automesse.

Zu den Glanzzeiten wurde hier die „Hochzeit im Himmel“ zwischen Daimler-Benz und Chrysler gefeiert; Ford präsentierte sich mit einem Konglomerat internationaler Premium-Marken und GM warf unter längst verblichenen Markennamen wie Pontiac und Oldsmobile ein neues Produkt nach dem anderen auf den Markt. Die Concept Cars von Chrysler waren legendär, niemand inszenierte sich aufwendiger als die Marke aus Auburn Hills.

Der New Beetle begründete hier die rasante Wiedergeburt der Marke Volkswagen auf dem US-Markt.Von derartigen Überraschungen blieb die Messe dieses Jahr frei. Tatsächlich bot sich ein ausgesprochen zwiespältiges Bild. Einige Hersteller nutzen die Messe klassisch für Weltpremieren, Präsentationen und die Netzwerkpflege. Andere haben ihre Präsenz auf ein Minimum heruntergefahren. Und wieder andere Hersteller fehlen völlig.

Zur ersten Kategorie gehört Mercedes-Benz. Die Weltpremiere des runderneuerten G-Modells in einer fulminanten Show im ausrangierten Michigan Theater war wohl der Höhepunkt der Messe. Stargast war der Schauspieler und Ex-Gouverneur von Kalifornien, „Terminator“ Arnold Schwarzenegger, der im Dialog mit Dieter Zetsche kühn vom vorgegebenen Skript abwich, was der Daimler-Chef schlagfertig parierte.

Der neue G rechtfertigt den Aufwand: Die einst für den militärischen Einsatz entwickelte Offroad-Ikone vollzieht den größten Schritt ihrer Karriere und bleibt dennoch ein echter G.Nur noch nationale Bedeutung hat die zweite große Messepremiere: der VW Jetta, den es jetzt erstmals nicht mehr in Europa geben wird und der mit konservativem Design für die USA ganz und gar auf Nummer Sicher geht.

Die immens erfolgreichen neuen Pick-up-Modelle der Amerikaner – Ram 1500, Chevrolet Silverado und Ford Ranger – dürften allenfalls in homöopathischen Stückzahlen ins Ausland gehen. Infiniti zeigt mit der klassisch eleganten Studie Q-Inspiration das Erstlingswerk des von BMW gekommenen Chefdesigners Karim Habib, Nissan überrascht mit der futuristischen Studie Xmotion, und das Concept Car Lexus LF-1 Limitless interpretiert einen Crossover neu.

Lexus LF-1 concept Photo: James Lipman / jameslipman.com

Unter den Serienautos glänzen der große, günstige Toyota Avalon und der hübsche Hyundai Veloster. Der Jeep Cherokee bekommt ein Facelift, das ihn etwas gewöhnlicher aussehen lässt als bisher. Und der chinesische GAC-Konzern zeigt neben einem Concept Car die gesamte Verkaufspalette der hauseigenen Marke Trumpchi. Diese Markenbezeichnung hat man für den US-Markt aus naheliegenden Gründen hastig gestrichen, sie ist an den Autos aber noch an verschiedenen Stellen zu sehen.

Bar jeder Neuheit präsentieren sich die Ausstellungsflächen von Alfa Romeo, Audi, Cadillac, Lincoln und Genesis. Bei Audi gibt es nicht einmal Ansprechpartner aus dem Stammhaus in Ingolstadt. Andere Marken erschienen gar nicht erst – darunter Porsche, Jaguar, Land Rover und Exoten wie Bugatti. Doch weil sich die Händler die Gelegenheit nicht entgehen lassen wollen, ihre Autos trotzdem zu präsentieren, erlebt das Publikum die wohl unprofessionellste Supercar-Ausstellung aller Zeiten. Ein Bugatti Chiron steht da einfach auf dem Teppich herum – ohne Beleuchtung oder irgendeine Form der Inszenierung.

Detroit ist also sicher nicht die Messe der Exoten, es ist jedoch eindeutig auch keine Messe der Elektromobilität. Man befindet sich schließlich im Mittleren Westen, und dort herrscht gegenüber dieser teuren und umweltpolitisch fragwürdigen Technologie eine gesunde Skepsis. Statt mit utopischen Ökomobilen punktet die einheimische Industrie lieber mit Dieselmotoren, die bei Personenwagen nun langsam aus der Nische heraustreten und bei den Pick-ups sogar aggressiv in den Vordergrund gerückt werden.

Die Hersteller aus Japan und Amerika dürften es in diesem Zusammenhang begrüßen, dass die Deutschen – außer BMW – den Selbstzünder auf dem US-Markt aufgegeben haben. Dabei unterliegen die Deutschen der irrigen Annahme, dass sich die US-Kundschaft sich mit dem Thema „Dieselskandal“ sonderlich aufhält. Dies ist nur bei den wenigen Besitzern der Fall, die glauben, finanziell noch etwas für sich herausschlagen zu können. So bescheiden viele Hersteller dieses Jahr auftreten, so innovativ präsentieren sich die Zulieferer. ZF verkündet hervorragende Zahlen und zeigt Technologien und Elektronik-Architekturen für autonomes Fahren. Bei Schaeffler sind leistungsfähige Elektromotoren und -achsen zu sehen. Entwicklungsvorstand Peter Gutzmer erwartet bis 2030 einen Elektro-Anteil von bis zu 30 Prozent, was im Umkehrschluss bedeutet, dass 70 Prozent der Flotte noch ganz oder zumindest partiell von einem Verbrenner angetrieben werden.

Viele der interessantesten Technik-Themen überschneiden sich jedoch mit der CES in Las Vegas, die nur wenige Tage zuvor stattfand. Wenn sie ihre alte Bedeutung als Automesse wiedererlangen möchte, sollte die NAIAS über einen Konzeptwechsel nachdenken, vielleicht sogar einen Standortwechsel – denn das Ausmaß an Bürokratie in der Cobo Hall ist erstaunlich. Eine Auto Show in Michigan im Sommer, vielleicht im Wechsel mit der IAA und im Umfeld des Oldtimer-Treffens Woodward Dream Cruise, könnte den Status als wichtigste US-Messe vor Las Vegas, New York und Los Angeles vielleicht noch einmal retten. (ampnet/jm)

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