Wer im Glashaus sitzt…

Der Nachfolger (rechts) war fertig entwickelt.
Vor 20 Jahren wollte Volkswagen mit dem Edelmodell Phaeton die Millionärskundschaft ködern. Doch die kaufte lieber weiter bei der Konkurrenz. Die Hintergründe eines Scheiterns auf höchstem Niveau.

Von Harald Kaiser

Schlimmer hätte es nicht laufen können. Der Nachfolger war fertig. 2015 sollte er auf den Markt kommen – zum denkbar schlechtesten Zeitpunkt, wie sich herausstellte. Denn der aufgedeckte Abgasbetrug crashte die Pläne von Volkswagen, die zweite Generation der Luxuslimousine Phaeton zu präsentieren. Am 3. September 2015 musste VW gegenüber der US-Umweltbehörde EPA die Manipulation von Abgaswerten bei Dieselmodellen einräumen. Die Öffentlichkeit erfuhr zunächst nichts davon. Doch nach der Veröffentlichung der Vorwürfe durch die EPA gab Volkswagen den Beschiss zu. Ein Riesenskandal. Damit war die Vorstellung des fix und fertig entwickelten neuen Spitzen-Volkswagens gestorben.

Großes Tamtam für einen Volkswagen

20 Jahre ist jetzt her, dass Ferdinand Piëchs Traum von einem großen Oberklassewagen mit VW-Emblem wahr wurde. Das Jubiläum war für den Wolfsburger Auto-Riesen jetzt Anlass Bilder zu veröffentlichen, dass der nächste Phaeton bereitstand, in die Verkaufsräume geschoben zu werden. Wie sein Vorgänger sollte auch er die schier übermächtigen Konkurrenten von Mercedes und BMW erschrecken – trotz der Erfahrung, dass dies ziemlich sicher wieder nicht klappen würde, entschied sich der Vorstand für den zweiten Versuch.

So hätte der Nachfolger aussehen sollen, der nie kam Fotos:Volkswagen

Beim ersten Modell war großes Tamtam angesagt. An jenem 11. Dezember 2001, dem Tag der Eröffnung der eigens für die Phaeton-Produktion hochgezogenen gläsernen Fabrik in Dresden, war Bundeskanzler Gerhard Schröder angereist, ebenso Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf. Und neben vielen anderen Granden war natürlich auch der damalige Konzern-vorstandsvorsitzende Ferdinand Piëch zugegen. Denn auf dessen Order hin wurde das Auto entwickelt und in dem Glaspalast nicht nur einfach von Hand sorgsam und dank der riesigen Scheiben auch publikumswirksam zusammengebaut. Nein, das Auto sollte ein Kunstwerk darstellen.

Intoniert von der Staatskapelle Dresden

Die Eingangshalle des Werkes war proppenvoll. Die Staatskapelle Dresden spielte die schon zur Grundsteinlegung komponierte Ouvertüre von Andreas Goldmann und Thomas Berlin, es sangen Ute Selbig und Jochen Kupfer von der ortsansässigen Semper Oper. Der Trompeter Rainer Bemmann blies sein Werk „Glasklar“ und schließlich traten auch noch Tänzer und sechzig Knaben des Dresdner Kreuzchores auf.

Nachdem der Applaus zu den künstlerischen Darbietungen verklungen war, trat Gerhard Schröder an das Rednerpult und sagte unter anderem dies: „Ich war damals im Aufsichtsrat des Unternehmens, als die Idee (zu dem Auto, d. Red.) entwickelt worden ist und schließlich beschlossen wurde. Ich habe zu denen gehört, die von der Konzeption überzeugt worden sind, und das hat sich auch nicht geändert. Wer die Überzeugungskraft von Dr. Piëch – jedenfalls auf diesem Gebiet – kennt, der weiß, wie so etwas geht. Für ihn ist Teamwork eben, wenn alle das tun, was er will. Das betrifft auch den Aufsichtsrat.“

Der Namensgeber endete nicht sehr glücklich

Daraufhin war leichte Erheiterung im Publikum zu vernehmen. Nur einer starrte ohne erkennbare Mimik auf den Laudator Schröder: Ferdinand Piëch. Und noch ernster, man könnte auch sagen böser, schien Piëchs Gesichtsausdruck zu werden, als Schröder auf den merkwürdigen Namen Phaeton zu sprechen kam. Er sagte: „Übrigens, Herr Dr. Piëch, wie der Name erklärt worden ist, ist ein wenig gefährlich; jedenfalls, wenn es in den Fahrzeugpark des Bundeskanzlers soll…Aber ich glaube, wir werden einen Weg finden, das Fahrzeug aufzunehmen, damit deutlich wird, dass auch das vierte große Automobil aus deutscher Produktion bei uns gefahren wird.“

Schröder spielte darauf an, dass der Name Phaeton von „Phaethon“ (der Leuchtende), dem Spross des griechischen Sonnengottes Helios, abgeleitet worden ist. Phaetons Geschichte ist mit einem missglückten Höhenflug verbunden. Laut griechischer Mythologie schwatzte der ungestüme Jüngling seinem Vater Helios nämlich den Sonnenwagen ab. Beim halbstarken Himmelsritt verlor der Filius die Kontrolle über die vier Rösser und setzte Himmel und Erde in Brand – wohl der größte Verkehrsunfall bis heute. Zeus, der Obergott, beendete schließlich die Reise und tötete Phaethon mit einem Blitz. Dazu gibt es auch das Ölgemälde Der Sturz des Phaeton“ von Peter Paul Rubens, das um 1605 entstanden ist.

So haben sich die Designer den Innenraum nach einer Modellpflege vorgestellt

Es war aus heutiger Sicht so, als hätte Schröder damals bereits geahnt, dass der gewählte Name auf das mutmaßlich bevorstehende Schicksal des gleichnamigen Automobils hindeuten könnte. Schröder wich kurz von seinem Redemanuskript ab und sagte mit einem bittersüßen Grinsen Ferdinand Piëch ins versteinerte Gesicht: „Ich bleibe bei D1.“ So hieß das interne Projektkürzel des Autos. Kurz nach dieser Glamour-Veranstaltung rollten zwar bereits die ersten Edel-Volkswagens aus dem Glaspalast – mit 3,2-Liter Sechszylinder/241 PS sowie einem 6-Liter-Zwölfzylinder/450 PS unter der breiten Haube. Doch die eigentliche Serienherstellung startete erst im Januar 2002.

Der Absturz kam ziemlich schnell

Und wie es die griechische Mythologie verhieß, so kam es tatsächlich. Statt schnurstracks Kurs auf den Olymp der Autogötter zu nehmen, erwies sich, dass die Verkaufserwartung der VW-Strategen von 20.000 Stück pro Jahr viel zu hoch lag. Laut Geschäftsbericht wurden 2011 die meisten Phaeton hergestellt: 11.166 Stück. Danach kam der Absturz. 2014 lag die Produktion nur noch bei rund 4.000 Autos. Spätestens dann wurde den Verantwortlichen klar, dass ihr Topmodell ein Geldverbrennungsofen war.

So hochwertig das Auto für die oberen Zehntausend auch gewesen sein mag, die Erkenntnis trotz positiver Marktforschung war bitter, dass der auch auf Prestige und Außenwirkung achtende typische Boss halt keinen Volkswagen fährt – bis auf die VW-Vorstände selbstverständlich. Von Dezember 2001 bis zum Produktionsende am 18. März 2016 wurden nur 84.235 Phaetons gebaut. Zum Vergleich: Von der Mercedes S-Klasse (Baureihe 221) liefen von September 2005 bis Mai 2013 genau 537.519 Fahrzeuge vom Band.

Die Verarbeitungsqualität war nahezu perfekt

Der optisch bieder wie ein größerer Passat wirkende Phaeton machte eben für die Spitzenzielgruppe bei weitem nicht so viel her wie eine S-Klasse oder ein Siebener-BMW. Auch die ungeheuere Sorgfalt beim Zusammenbau half nicht. Der Phaeton setzte qualitativ Maßstäbe, die bis heute kaum ein Auto erreicht. Nahezu ohne Rücksicht auf Kosten wurde eine Fertigungspräzision umgesetzt, die bei Blechfugen-Fetischisten Verzückung auslöst. Sprichwörtlich geworden ist zum Beispiel die mit unglaublichem Aufwand nahezu zugfrei gehaltene Klimaautomatik, deren unter Edelholzzierteilen versteckte Luftausströmer sich erst bei Bedarf automatisch und lautlos öffnen.

All dies half nichts. Analysten schätzten bereits Anfang 2015, gut ein Jahr vor dem Exodus, dass VW pro Phaeton 28.000 Euro zubuttern musste. Zuletzt kostete der Luxusschlitten 89.650 Euro – ohne Extras. Etwas gemildert wurde die desaströse Kassenlage durch die konzernweite Verwendung der Phaeton-Bodengruppe. So nutzte auch der Audi A8 (Generation D3) die Plattform und schaffte in sieben Jahren Bauzeit fast 150.000 Einheiten. Auch die Konzerntochter Bentley profitierte von dieser technischen Basis, ohne die die Modelle Continental und Flying Spur deutlich kostspieliger in der Herstellung geworden wären.

Inzwischen ist der gläserne Palast umfunktioniert worden. Wer sich heute die Nase an den riesigen Scheiben platt drückt, sieht vergleichsweise schnöde Elektro-Volkswagen vom Band laufen.

1 Kommentar zu "Wer im Glashaus sitzt…"

  1. Rolf Franz Nieborg | 10. Juli 2022 um 11:07 | Antworten

    Phaeton: nomen est omen…cum grano salis!

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