Wenn, wie diese Woche bei Porsche, ein paar Hundertschaften von Polizei und Staatsanwaltschaft anrücken, um Betriebsräume zu durchsuchen, Akten und Computer zu beschlagnahmen und Manager zu verhaften, kann man durchaus den Eindruck bekommen, es ginge um den Einsatz gegen ein Terror-Netzwerk oder um Menschenhandel im Rotlicht-Milieu. Wird da nicht ohne jede Sensibilität mit Atomraketen auf Spatzen geschossen?
Welcher Eindruck in der Öffentlichkeit entsteht, wenn ein paar hundert Fahnder in ein Unternehmen einfallen, um Akten und Computer zu beschlagnahmen, ist für Staatsanwaltshaften nicht relevant. Was es für die Mitarbeiter und ihre Familien bedeutet, wenn leitende Manager ihrer Arbeitgeber wie Gewaltverbrecher verhaftet und quasi öffentlich vorverurteilt werden, zählt genauso wenig. Da kennen die Strafverfolger kein Pardon. Die Unschuldsvermutung ist nur ein Wort. Je mehr Aufsehen, um so mehr Druck kann offensichtlich erzeugt werden. Und 200 ermittelnde Beamte sind eine überzeugende Machtdemonstration. Dass Straftaten aufgeklärt werden müssen, Täter zu bestrafen sind, ist doch unumstritten. Aber es geht auch um Augenmaß und Verhältnismäßigkeit, die den Staatsanwälten stellenweise abhanden gekommen ist.
Man muss sich fragen, warum die Beweise für Abgas-Betrug etc. nicht schon bei den vielen früheren Durchsuchungen zum Beispiel bei Audi (am Tag der Bilanzpressekonferenz 2017), bei Volkswagen, bei Daimler und bei BMW gefunden worden sind, die in die eine oder andere Richtung belastbar sind? Die Staatsanwaltschaften scheinen bislang nichts Brauchbares gefunden zu haben, sonst wären weitere Durchsuchungen nicht notwendig geworden.
Die letzte Durchsuchung am 18.4. bei Porsche ist ein Höhepunkt staatsanwaltlicher Machtdemonstration. Weil Motorenentwickler Jörg Kerner während der Durchsuchung bei Porsche von zu Hause informiert wurde, dass auch dort durchsucht werde, fuhr er – wahrscheinlich um seiner Frau beizustehen oder um sie zu beruhigen – nach Hause. Dies wertete die Staatsanwaltschaft als Fluchtversuch und ließ Kerner kurzerhand verhaften. Weil dies als Begründung allein wohl all zu lächerlich klingt, wurde die angebliche Fluchtgefahr durch den Verdacht der „Verdunkelung“ ergänzt.
Während immer wieder Gewalttäter nicht in U-Haft kommen, weil sie irgendwo polizeilich gemeldet sind, also einen Wohnsitz vorweisen können, schießt so mancher Staatsanwalt bei Wirtschafts- und Steuerstraftaten gerne übers Ziel hinaus. „Gewalttäter quälte Frauen und blieb auf freiem Fuß“ lautet eine entsprechende Überschrift aus dem Berliner „Tagesspiegel“.
Wir erinnern uns an den Prozess gegen den ehemaligen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking und seinen Finanzvorstand Holger Härter, denen – allerdings ohne in U-Haft zu sitzen – monatelang der Prozess gemacht worden war, weil sie nach Überzeugung der Stuttgarter Staatsanwaltschaft den Aktienmarkt manipuliert haben sollten. Der Richterspruch war eine schallende Ohrfeige für die übereifrigen Ankläger: „An den Vorwürfen der Stuttgarter Staatsanwaltschaft ist nichts dran, nichts – weder vorne, noch hinten, noch in der Mitte“, rügte der Richter in seinem Urteil.
Und obwohl U-Haft grundsätzlich nur für maximal sechs Monate verhängt werden darf, sitzt der Ex-Porsche-Entwicklungsvorstand Wolfgang Hatz seit September letzten Jahres bis heute in München in U-Haft. Vorwurf: Verdacht auf Betrug und der strafbaren Werbung. Hatz war von 2001 bis 2007 Audi-Chefentwickler für Motoren, danach bei VW und seit 2011 Entwicklungschef bei Porsche. Mehrere Anträge auf Freilassung hat das Oberlandesgericht München abgelehnt. Auch die US-Justiz hält Hatz, für einen „Mitverschwörer“ im Abgasskandal. Beweise wurden allerdings bis heute nicht vorgelegt.
Porsche-Vorstandschef Oliver Blume hat sich nun an die Belegschaft gewandt. „Die Staatsanwaltschaft wirft den drei Beschuldigten und Porsche vor, wir hätten Kenntnis davon gehabt, dass in diesen Motoren unzulässige Steuerungsgeräte verbaut gewesen seien“, schrieb Blume. „Wir weisen diesen Vorwurf zurück und tun unser Möglichstes, um alles in Ordnung zu bringen.“ Die Beschäftigten rief der Vorstandschef auf, sich von den Berichten über die Vorwürfe nicht verunsichern zu lassen. „Meine Vorstandskollegen und ich tun alles dafür, um den Sachverhalt so schnell wie möglich aufzuklären.“
Der Rechtsstaat ist aus den Fugen geraten. Nicht nur, dass ein kleiner eingetragener Verein „Nebenregierung und Nebenjustiz“ spielen darf, hat nun auch die Staatsgewalt jegliches Augenmaß vermissen lassen. Der angerichtete wirtschaftliche Schaden interessiert offenbar nicht.