Gastkommentar von Jens Meiners: Die Wiederauferstehung des Verbrenners

Der Verbrennungsmotor wird noch lange leben. Und er hat noch viel Potential. Zu dieser Überzeugung kommen renommierte Motorenentwickler beim AVL-Kongress in Graz. Der elektrische Antrieb mit Batterie ist nur eine Brückenlösung bis zum Elektroantrieb per Brennstoffzelle.

Vor zwei Jahren schien die Motorenwelt noch einigermaßen in Ordnung zu sein. Der politisch eingeforderte Wechsel zur Elektromobilität fand bei den Kunden kaum Resonanz, die Umstellung der Verbrennungsmotoren zu einer an Realbedingungen orientierten Abstimmung lief in geordneten Bahnen. Dann brach der „Dieselskandal“ mit Prüfstanderkennung und entsprechender Motorensoftware über den VW-Konzern hinein – und seitdem ist nichts mehr wie vorher. Das Misstrauen erfasste die gesamte Branche.

Von AVL modifizierter 1750er-Motor von Alfa Romeo, der eine Literleistung von 200 kW / 272 PS überschreitet.

Politik und Medien gaben sich gekränkt und empört, und Teile der Autoindustrie – allen voran Volkswagen – kündigten voller Zerknirschung eine strategische 180-Grad-Wende an. Nun soll es mit Volldampf in Richtung Elektrifizierung gehen: „Die Zukunft ist elektrisch“, deklamierte VW-Chef Matthias Müller noch im April 2017, nur wenige Wochen später teilte der BMW-Vorstandsvorsitzende Harald Krüger abermals mit, er sei von der E-Mobilität „110 Prozent überzeugt“.

Dies ist das Umfeld, in dem jetzt 300 Ingenieure und Entscheider auf Einladung des Entwicklungsdienstleisters AVL List in der Grazer Helmut-List-Halle und auf dem Testgelände Gratkorn zusammenkamen, um über den Wettkampf der Antriebe zu diskutieren. Denn das Auto der Zukunft muss nicht nur der Politik, sondern auch dem Kunden gefallen.Wenn man der Politik glaubt, ist der Kampf schon längst entschieden. „Die Zukunft des Verbrennungsmotors ist nicht großartig“, postuliert Nick Lester-Davis von der Londoner Stadtregierung, die eine „Giftigkeits-Abgabe“ für konventionelle Antriebe einführen will. Und für den Fall, dass die Industrie nicht spurt, droht er: „Sie müssen aufpassen.“

Plädoyer für Offenheit

Manfred Pongratz von Pongratz Engineering in Graz warnte in der Diskussion vor derartigem Populismus. Er wirbt für einen anderen Ansatz: Die Politik solle sich auf die Vorgabe der Rahmenbedingungen konzentrieren und die Industrie die Lösungen dazu entwickeln lassen. „Und das ohne einseitige Vorgaben der Technologie, sondern nur unter Vorgabe von einzuhaltenden Grenzwerten, die Gesundheit und Umwelt förderlich sind“, so der Entwickler.

Tatsächlich wurde auf dem Kongress eine große Bandbreite technischer Lösungen aufgespannt, mit denen Leistung und Effizienz weiter verbessert werden können. Dabei kristallisierte sich heraus, wieviel Potential noch im Verbrennungsmotor steckt: Auch nach über 130 Jahren ist der konventionelle Antrieb noch keinesfalls ausgereizt. Mit kostengünstiger 48-Volt-Hybridisierung und verbesserten Aufladekonzepten lässt sich der Verbrauch nochmals deutlich absenken, und die Emissionen bewegen sich in vielen Bereichen hart an der Nachweisgrenze.Weitere Chancen zur Absenkung der Emissionen stecken im Erdgasantrieb, wobei die vollen Potentiale erst gehoben werden können, wenn die aktuellen bivalenten Motoren, bei denen zwischen Benzin und Erdgas umgeschaltet werden kann, durch monovalente Erdgas-Antriebe ersetzt werden.

Wasserstoff und Brennstoffzelle schlagen die Batterie

Die heiß diskutierte Brennstoffzelle besitzt ebenfalls das Potential, dem batterieelektrischen Antrieb den Rang abzulaufen. Die Kosten für den Wasserstoffantrieb werden immer niedriger, und die Zeit zum Nachtanken entspricht einem Benziner oder Diesel – ein Elektroauto wird das nie schaffen können. Die Japaner werden den kompromissbehafteten batterieelektrischen Antrieb auf dem Weg zu einer Wasserstoffwirtschaft vermutlich überspringen.

Sogar der Zweitakter wird in diesem Zusammenhang diskutiert. Prof. Joachim Böhme von der Hochschule Zwickau bricht eine Lanze für den wasserstoffgetriebenen Zwei-Takt-Motor; der exotisch anmutende technische Ansatz soll gerade bei hohen Leistungen einen sehr guten Wirkungsgrad aufweisen.Tatsächlich ist wohl eine der wichtigsten Erkenntnisse des Kongresses, dass es keinen Königsweg gibt. „Die Botschaft ist: Augenmaß. Wenn man die Beiträge Revue passieren lässt, dann haben alle Antriebsarten ihre spezifischen Vor- und Nachteile“, sagt Prof. Michael Bargende, Lehrstuhlinhaber für Fahrzeugantriebe an der Universität Stuttgart. So biete sich bei Einfahrbeschränkungen in die Städte der Plug-in-Hybrid an – wenngleich er die Stadtluft objektiv nicht mehr verbessern kann“, wie der Wissenschaftler anmerkt: „Denn weder das Thema Feinstaub noch Stickoxid spielen bei modernen Diesel- und Ottomotoren noch eine Rolle.“

Doch diese Erkenntnis muss sich in der Öffentlichkeit erst noch durchsetzen, genau wie es erst noch zu einer gesamtheitlichen Bewertung der Antriebskonzepte kommen muss, bei denen sämtliche Emissionen „von der Quelle bis zum Rad“ erfasst werden. Denn die alternativen Antriebe glänzen vor allem dann, wenn man die Stromerzeugung außer acht lässt; Bargende spricht von dem „wundersamen Verlust der CO2-Emissionen auf dem Weg vom Kraftwerk zur Steckdose“.

Dass die Zulassungszahlen für Elektroautos global weiterhin auf niedrigem Niveau verharren, kommt hinzu. Der plakativen Ankündigung von Volvo, langfristig die Entwicklung von Dieselmotoren einzustellen, will bei diesem Kongress niemand folgen: Es sei „eine aufregende Zeit für Motorenentwickler“, so Brian Cooper von Jaguar Land Rover, der gleichzeitig „volles Bekenntnis“ zum Dieselmotor unterstreicht. Iain Fleming vom chinesischen Autogiganten SAIC stellt wiederum nüchtern fest: „Eine Umstellung zu Elektromobilität könnte kontraproduktiv sein.“

Und so resümiert der Wiener Motorenentwickler Prof. Friedrich Indra in Graz: „Wir erleben die Wiederauferstehung des Verbrennungsmotors. Die Realität kommt zurück.“

 

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