BMW zeigt die „Neue Klasse“: Design oder nicht sein

BMW hat seine „Neue Klasse“ präsentiert und erntet – wie immer nach Design-Sprüngen der Münchner – auch heftige Kritik. Es wirkt auf mich wie ein Traditions-Ritual, das sich irgendwann in Wohlgefallen auflösen wird.

Als mir vor zig Jahren ein berühmter Auto-Designer des Stuttgarter Wettbewerbers sagte, dass Design Milliarden Möglichkeiten der Formbildung biete, fügte er relativierend hinzu: „Die Grenzen sind immer die Grenzen des guten Geschmacks.“ Und dass die Form der Funktion zu folgen habe, bezeichnete er als „zumindest fragwürdig und nicht immer notwendig“. Zu oft widerspreche ein Design dieser Philosophie, „denn sonst würden manche neuen Design-Trends nicht so schnell wieder im Museum verschwinden“. Die hohe  Kunst des Automobil-Designs sei es, „nicht am ersten Tag Begeisterung zu erzeugen, sondern über Jahrzehnte hinaus Strahlkraft zu behalten“.

Spontan-Gefälligkeit wird schnell langweilig

Neue Auto-Designs kommen auf den Markt ohne jede Garantie, nachhaltige Ästhetik zu bieten. Manches Design wird von der (Medien-)Öffentlichkeit gleich zu Anfang in der Luft zerrissen, aber dann doch erfolgreich und langfristig von den Kunden goutiert. Ein Beispiel für eine solche Entwicklung ist für mich der berühmte „Bangle-Siebener“ von BMW. Er wurde von vielen, nein den meisten Medien in der Luft zerrissen. Gleichwohl ist er in meinen Augen das beste Beispiel für substantiell gutes Design, das aber erst einen Reifeprozess der Wahrnehmung auslösen muss, um anerkannt zu werden. Gefällige Spontan-Akzeptanz ist oft schon nach kurzer Zeit der totalen Schönheits-Erosion unterworfen. Das ist meine Erfahrung: Spontan-Gefälligkeit wird schnell langweilig.

Auch die Design-Qualität der „Neuen Klasse“ wird sich erst mittelfristig erschließen. Denn handwerklich perfektes Design ist nicht nur eine Frage des guten Geschmacks, sondern folgt Grundgesetzen der Ästhetik. Und diese unterwerfen sich gerade nicht dem so genannten Zeitgeist, sondern schöpfen ihre formale Substanz aus den Tiefen unseres Unterbewusstseins. Wie sonst berühren Automobile aus den Fünfzigern wie der Mercedes Flügeltürer oder ein BMW 507 unsere Geschmacksnerven noch immer?

Klassisches Design altert nicht

Es ist verdammt schwer, es allen recht zu machen. Das ist eine Binsenweisheit. Aber es gilt ja nicht nur, es den europäischen Kunden recht zu machen, sondern weltweit erfolgreich zu sein. Dabei ist es unvermeidlich, dass (neues) Design polarisiert. Eigentlich immer polarisieren muss. Wenn manchen BMW-Kritikern die sich ändernde Form der Niere missfällt, sehen asiatische Kunden in der markanten Niere ein Signal gesellschaftlichen Prestiges und der Dominanz auf der Straße. Und BMW Design-Kritiker werden immer kleinlaut, wenn man sie fragt, warum BMW dennoch der führende Premiumhersteller auf dem Weltmarkt ist… Dass BMW rund 33 Prozent seines Absatzes in China realisiert, aber nur rund 11 Prozent in Deutschland, macht deutlich, wo BMW den Schwerpunkt seiner Modell- und Design-Politik sieht. Selbst der Riesenmarkt USA ist nur für 15 Prozent gut.

Die Presseabteilung liegt völlig falsch

Mit der „Neuen Klasse“ schlägt BMW ein neues Design-Kapitel auf. Und es ist nicht viel weniger polarisierend als beim Bangle-Siebener. Die Presseabteilung liegt allerdings falsch, wenn sie schreibt: „BMW erfindet sich neu“. Das ist barer Unsinn, denn gerade die eigenständige Stärke der Marke ist es, dass sie technisch und in Sachen Design schon immer eigene, fortschrittliche Wege geht. Die Philosophie der „Neuen Klasse“ ist keine Neuerfindung von BMW, sondern realisierte Kontinuität.

Als BMW im letzten Herbst die Vision der „Neuen Klasse“ vorstellte, sprach BMW-Chef Oliver Zipse davon, dass die „Neue Klasse“ die Innovationskraft der Marke bündle. Das trifft das Thema genau. Und was wie Übertreibung klingen mag, beschreibt Zipse sehr gut: „So sind wir der Zukunft zwei Schritte voraus. Mit der Neuen Klasse bringen wir die Mobilität für das nächste Jahrzehnt schon ab 2025 auf die Straße und führen BMW in eine neue Ära.“ Nun ja, ein wenig übertrieben klingendes PR-Geklingel muss schon sein.

„Als hätten wir mehrere Modell-Generationen übersprungen“

Wenn wir das Design der „Neuen Klasse“ betrachten, wird klar, dass dermaßen exaltierte Klarheit, so schnörkellose Formen wirklich den Eindruck vermitteln, als ob sie aus der Zukunft zu uns gerollt sind. Das Design signalisiert die technologische Substanz unter der Außenhaut. Besonders das Interieur überspringt gleich mehrere Gewöhnungsjahre und reißt unsere Augen förmlich auf. Chefdesigner Adrian van Hooydonk sagt: „Das Design der Neuen Klasse ist typisch BMW und so progressiv, dass es aussieht, als hätten wir eine Modellgeneration übersprungen.“ Nur eine? Mindestens drei….

Dass BMW-Kunden damit überfordert werden, ist bei der BMW-Kundenstruktur nicht zu erwarten. Die Kunden der Münchner sind weit offener für radikale Entwicklungssprünge als z.B. der eher konservative VW-Kunde, der bereits die berührungsgesteuerte Schiebereglung für die Temperatur kritisiert. BMW wagt hier wirklich den großen Sprung. Wenn die Informationen für den Fahrer über die gesamte Breite der Windschutzscheibe projiziert werden, hat das schon „sciencefictionale“ Dimensionen.

Design muss man nicht erklären, es soll wirken

Die „Neue Klasse“ stößt tatsächlich in Bereiche vor, die in vielen Details einen Wow-Effekt hervorrufen dürfte. BMW bemüht sich in einer Pressemitteilung, das Design zu erklären. Dabei sollte Design nicht erklärt werden (müssen). Es muss aus sich heraus wirken. Dennoch verständlich, wenn versucht wird, den formal neuen Auftritt zu erläutern. Aber letztlich entsteht Zustimmung oder Ablehnung im Auge des Betrachters. Die „Neue Klasse“ wird wie gesagt polarisieren. Aber das ist durchaus beabsichtigt. Aber wenn der Design-Chef sagt, „dass die Marke BMW eine andere Marke sein wird, wenn wir die Neue Klasse gelauncht haben“ liegt er falsch.

BMW muss BMW bleiben! Technologisch und formal immer MUTIG der Zukunft verpflichtet.

 

 

 

 

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