Kommentar von Peter Schwerdtmann
Jeder zweite Deutsche will schon beim nächsten Autokauf „auf Strom“ setzen, meldete jetzt der Energieerzeuger E.ON Energie Deutschland das Ergebnis seiner Umfrage. Am selben Tag berichtet „strategy&“, ein Teil des amerikanischen Analyse- und Prognose Netzwerks PwC: „Der E-Auto-Marktanteil in Deutschland verdoppelt sich in den ersten drei Quartalen.“ Dutzende andere Umfragen kommen zu ähnlichen Ergebnissen – alles Realität oder der Versuch, die Realität zu gestalten? Wunschdenken oder selbsterfüllende Prophezeiung?
Das PwC-Team zitiert die aktuellen Zahlen des Kraftfahrtbundesamts (KBA). An den Werten ist Zweifel also sinnlos, sie sind offiziell. Dennoch lassen sie sich anders lesen, als es heute üblich ist. Das KBA meldet für die ersten drei Quartale dieses Jahres einen Marktanteil der E-Fahrzeuge von 40,2 Prozent. Schaut man aufs Detail, sind nur 11,2 Prozent davon batterieelektrisch betriebene Fahrzeuge (BEV), 11,9 Prozent Plug-in-Hybride PHEV), 16,6 Prozent Hybrid-Antriebe, deren Batterien nicht von außen aufgeladen werden können.Fazit: Der unbefangene Blick auf die aktuelle Zulassungsstatistik zeigt: 88 Prozent aller bisher in 2021 neu zugelassenen Fahrzeuge haben einen Verbrennungsmotor.Die E.ON-Zahlen zu den Wünschen der Deutschen passen zu dieser Realität. Danach wollen 30 Prozent der Kaufwilligen ein BEV wählen, 20 Prozent ein PHEV und nur fünf Prozent ein Auto mit einfachem Hybridantrieb. Bleiben fünf Prozent für Erdgasantrieb und andere Alternativen.
2030 werden bestenfalls 15 Prozent batterieelektrisch fahren.
Fazit: Fast die Hälfte der von Eon befragten Menschen bekennen sich auch bei der Frage nach ihrem Wünschen zum Verbrenner, plus die 25 Prozent Schein-Elektriker PHEV und Hybrid.Heute fahren in Europa etwa 3,5 Millionen BEV, was etwa 1,4 Prozent des europäischen Pkw-Bestandes ausmacht. Das PwC-Team ging in einer früheren Studie davon aus, dass sich der europäische Bestand wegen des Erfolgs von Sharing-Systemen auf rund 200 Millionen verringern wird. Kombinieren wir dies mit den positivsten Prognosen für die BEV, dann werden 2030 bestenfalls erst 15 Prozent der Fahrzeuge batterieelektrisch fahren.
Fazit: Gemessen am Bestand bleibt der Anteil der batterieelektrischen Fahrzeuge auch 2030 noch niedrig.Die Aussagen zur Klimafreundlichkeit des batterieelektrischen Antriebs schwanken je nach Quelle. Die einen sehen den modernen Diesel gleichauf, die anderen das BEV schon nach einigen Zigtausend Kilometern im Kohlendioxid-Plus. So viel steht fest: Der ökologische Fußabdruck entscheidet sich nicht nur über die Höhe der Emissionen im Betrieb. Es geht auch um die Gewinnung der Stoffe zum Beispiel für die Batterieherstellung, um die Emissionen der Fertigung und um den Aufwand beim Rückbau oder dem Recycling. Beim Elektroauto entscheidend sind die Batterie und die Zusammensetzung des Ladestroms: Wasser, Wind, Sonne, Kohle, Gas, Kernkraft oder Erdöl. Fazit: Der Effekt des BEV ist in unseren Regionen heute nicht so gut wie das Image des Batterieantriebs. Nur regenerative Energie kann die Situation verbessern – oder Kernenergie. Heute liegen die Kosten für die Batterie in einem Personenwagen etwa bei einem Drittel des Gesamtpreises. Branchen-Gurus wie Elon Musk meinen, die Kosten in Zukunft um ein Drittel senken zu können. Das würde sich günstig auf die Preise der Elektromobile auswirken, wäre da nicht der Rohstoffmarkt. Denn auch dort gilt mit steigendem Bedarf steigt der Preis.
Wechsel der Abhängigkeit vom Öl auf Metalle
Der „Spiegel“ (Nr.44/2021) zitiert: „Nach Rechnungen der Internationalen Energieagentur (IEA) wird sich der Bedarf an kritischen Rohstoffen bis 2040 weltweit vervierfachen, beim Batteriemetall Lithium beträgt der Faktor sogar 42“. Fazit: Die Batterien werden zwar besser, aber nicht billiger. IEA-Chef Fatih Birol wird in derselben Ausgabe des „Spiegel“ zitiert mit der Aussage, die Industrieländer wechselten die Abhängigkeit vom Erdöl in die von Metallen. Und die könnte sich als noch gravierender erweisen: Indonesien und die Philippinen beherrschen rund 45 Prozent des Nickelangebots, China 60 Prozent der seltenen Erden, der Kongo zwei Drittel der Kobaltproduktion und Südafrika 70 Prozent des Platinmarktes. Unsere Unternehmen versuchen das mit Verträgen zu regeln, die Lieferzuverlässigkeit und gleichzeitig auch arbeitsrechtliche Mindestvorstellungen sichern sollen.
Fazit: Wir begeben uns die Abhängigkeit von wenigen Staaten, von denen sich keiner als Musterdemokratie bezeichnen oder sich von Menschenrechtsverletzungen freisprechen kann. Die Industrie investiert Aber-Milliarden in die Entwicklung der Technologie, der Staat stützt die Hersteller ebenso wie die Käufer mit Förderungen, Prämien und Incentives aller Art. Hersteller und Energieanbieter bauen für weitere Milliarden Lademöglichkeiten auf, Privatleute und Vermieter installieren Wallboxen. In Deutschland versuchen wir mit großem Einsatz an Ressourcen aller Art den Anschluss an die Technologie des autonomen Fahrens zu gewinnen. Wir entwickeln neue Mobilitätskonzepte und Siedlungsstrukturen. Wir schieben den öffentlichen Nahverkehr an, ebenso die Bahn. Wir bauen das Land um in der Hoffnung, dass auch das BEV dazu einen Beitrag leistet, der den Aufwand fürs Erreichen des 1,5-Grad-Zieles rechtfertigt.
Deutschland in der Vorbild-Rolle
Fazit: Wir erleben uns mal wieder in der angenehmen Rolle eines Vorbilds. Das setzt ungeheure Kräfte frei. Und das ist gut so. Denn in Sachen Klima sollen gern möglichst viele von uns lernen, wenn wir die richtigen Entscheidungen treffen. Die Klimakonferenz in Glasgow wird es auch bis Ende der Woche nicht schaffen, bei der Jugend oder den Aktivisten der höheren Altersstufen Zufriedenheit zu erreichen. Sie werden weiterhin an Freitagen oder bei anderen Gelegenheiten offene Türen einrennen und Aktionen fordern, die sie nur selten inhaltlich beschreiben können. Das ist ihr gutes Recht. Denken müssen die, die für die Strategie und deren Umsetzung verantwortlich sind. Sie werden heftig darüber nachdenken müssen, wie sie den Einfluss der weltweit 1,4 Milliarden Fahrzeuge mit Verbrennungsmotor aufs Klima zurückdrängen können. Das batterieelektrische Auto oder die Pseudo-Elektriker werden ihnen das Problem nicht abnehmen. Fazit: Auch wenn das Fahren mit batterieelektrischen Fahrzeugen noch so hipp und angenehm und der Betrieb vor Ort emissionsfrei sein mag – wir brauchen für den Verkehr eine andere Energie als den Strom aus der Batterie. Es geht um das richtige Prinzip. Betrachtungen der Wirkungsgrade bringen uns nicht weiter. Schließlich schreibt die Sonne keine Stromrechnung, der Wind bläst auch umsonst, aber in Zukunft hoffentlich weniger oft vergeblich. (aum/Peter Schwerdtmann)
PS: Die Meinung des Autors geht nicht in allen Details mit der unseren konform.
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