Volkswagen CEO Herbert Diess wollte mit einer „Brandrede“ das Management aufrütteln – Geht der Schuss nach hinten los?

Wenn es nach Volkswagen-Chef Herbert Diess geht, ist die traditionelle Autoindustrie am Ende ihrer Entwicklung angekommen. Das Auto werde zum „Internet-Device“.  Mit seiner Rede vor Führungskräften hat Diess aber weniger Probleme der Autoindustrie beschrieben, sondern im Wesentlichen die Probleme von Volkswagen. Dass die Rede bei den Mitarbeitern nicht gerade als Motivations-Beschleuniger wirkt, ist bis zu den Verkäufern im Handel zu spüren.

„Wir müssen heute unsere Diesel und Benziner verkaufen und sollen gleichzeitig unseren Kunden sagen, dass sie dann die aussterbende Vergangenheit kaufen und eigentlich drauf verzichten und gleich einen batterieelektrischen ID.3 nehmen sollen? Das ist ein unüberbrückbarer Widerspruch!“ sagt der Verkaufsleiter eines großen Münchner VW-Betriebs. „Mit seiner Rede hat mir Diess jede Motivation genommen, einem Kunden noch einen neuen Golf einzureden…“ Diesen müsse man aber verkaufen, „um die fragwürdige E-Mobilität zu finanzieren“. Und: „Jeden Tag fragen uns Kunden, ob sie mit einem Neukauf besser noch warten sollen. Wir müssen uns im Kopf enorm verbiegen, um unser Produkte von heute glaubhaft zu vertreten.“

Diess´ so vehement proklamierter Abschied vom herkömmlichen Auto sei ein großer Fehler, „der ihm und uns VW-lern schon bald auf die Füße fallen wird“. Der Kunde wolle kein „fahrendes Smartphone“ haben, sondern ein technologisch zeitgemäßes Automobil, das zwar vernetzt ist, aber vor allem Sicherheit und Komfort bietet und irgendwann auch mal autopilotiert fahren kann.

Große Teile der Mannschaft fühlen sich von Diess demotiviert

Ähnliche Töne sind auch in Wolfsburg zu hören. „Unser Chef hat sich offensichtlich von Herrn Habeck beraten lassen“, sagt ein Manager der höheren Ebene. „Viele von uns ziehen sich zurück und sagen nichts dazu. Sie werden nur noch mit halber Kraft mitarbeiten, weil uns Diess behandelt, als hätten wir in den vergangenen Jahren modellpolitisch und strategisch alles falsch gemacht und geschlafen. Dabei war es doch VW, das mit dem Manipulieren der Diesel-Abgase die Krise erst initiiert hat.“

Herbert Diess´ Wandlung zum grünen CEO sei nachvollziehbar, weil der Druck der grünen Bewegung täglich zunehme. Dass nun auch der CEO den Klimawandel als „größte Bedrohung der Menschheit“ bezeichne, solle die grüne Bewegung besänftigen, klinge aber nach „Klimahysterie“. Die größte Bedrohung der Menschheit seien immer wieder aufflammende Kriege, keineswegs der Klimawandel.

„Tesla ist mit Volkswagen nicht zu vergleichen“

Dass Herbert Diess auf den einst führenden Mobiltelefon-Hersteller Nokia verweise, der vom Markt verschwunden ist, sei durchaus berechtigt. Man könne auch den Filmhersteller Kodak nennen, der die Digitalisierung verschlafen habe, „aber es sei hochgradig ungerecht, wenn Diess dies nun auch über VW sagt“. Hier liege Diess falsch; technologisch sei der Konzern Volkswagen gut aufgestellt, dies sei das Ergebnis „unserer Ingenieure und Forscher“. Es sei nicht richtig und vor allem ungerecht, zu sagen, „wenn wir in unserem jetzigen Tempo weitermachen, wird es sehr eng“.

Diess bewundere Tesla, „obwohl der kalifornische Elektroautohersteller nicht mit VW zu vergleichen ist“. Diess unterschlage „gemäß grüner Ideologie“, dass vor allem die deutsche Autoindustrie die Industrie weltweit positiv geprägt und auf hohem innovativem Niveau platziert habe. Tesla sei noch weit von der Produktqualität der Autos aus dem VW-Konzern entfernt. Tesla sei bestenfalls für die technologischen Standards zu bewundern, beim Batterie-Management, in der Ladetechnik und der intelligenten Bordnetz-Architektur.

Drastische Strompreis-Erhöhung wird die Lust am Elektroauto bremsen

„Herbert Diess steht massiv unter Druck. Wenn seine singuläre Ausrichtung auf den Elektroantrieb mit Batterie schief geht, vielleicht weil sich in Fernost Toyota und Hyundai auf die Brennstoffzelle konzentrieren, dann wird es schwer für Volkswagen“, sagt uns ein leitender Ingenieur aus der VW-Motorentwicklung. Dabei ist es nicht nur eine Frage der Technologie, sondern auch eine Frage der Kosten für den Autofahrer: Ende des Monats erhöht Stromanbieter Ionity den Schnellladepreis für eine Kilowattstunde auf fast schon sittenwidrige 0.79 Euro, wie der Verein UTR (Umwelt,Technik, Recht) mitteilt.

Herbert Diess hat offensichtlich nicht nur interne Widerstände für seinen Kurs zu überwinden, auch Autoexperten und Medien stellen den E-Kurs zuweilen in Frage. So kommentiert Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt süffisant: „Habeck hat gesagt, er glaube, dass das Auto nicht mehr für individuelle Freiheit stehe. Warum? Weil er schon in Kiel nicht mit dem Parken klargekommen ist, und weil er nie einfach mal so nach Venedig gefahren ist. Weil er die Freiheit nicht genutzt hat, soll sie also für alle abgeschafft werden. Dass das ein Grüner fordert – okay. Dass aber der VW-CEO ein wenig intellektueller in dasselbe postmoderne Entschleunigungshorn tutet, ist deprimierend. Das Freiheits-Narrativ des Autos ist bislang unkompromittiert in seiner klugen Radikalität. Jetzt schaffen es dessen älteste Profiteure ab. Nicht zu fassen.“

 

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