Gastbeitrag von Harald Kaiser zur Stickoxid-Diskussion: „Was immer weggelassen wird“

Die Katastrophe ist selbst eingebrockt und wurde von hoch bezahlten Managern angeordnet, durchgezogen und gedeckt. Kein Zweifel, der Beschiss von Volkswagen & Co. in Sachen Stickoxidausstoß (NOx) beim Diesel ist gigantisch. Die Sprache verschlägt es einem auch deswegen, weil sich die Herrschaften getraut haben, Politik und Verbraucher gleichermaßen generalstabsmäßig hinter die Fichte zu führen.

Und im Werbespruch „Wir bauen die saubersten Diesel“ schwang stets dieser Subtext mit: Wir sind die Cleversten, ihr Ahnungslosen dagegen werdet uns niemals auf die Schliche kommen. Letzte Woche kam die Quittung für dieses Geschäftsgebaren: Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig hat den Kommunen das Recht zuerkannt, Straßen oder ganze Viertel für Diesel zu sperren, sofern die Abgaswerte der betreffenden Autos schlechter als Euro 6 (von Euro 1 ab 1992 bis Euro 5 ab 2011) sind. Auch der Markt schickte bereits die Quittung: Nicht zuletzt wegen der seit Monaten anhaltenden täglichen Schlagzeilen zur Diesel-Affäre sinken die Verkäufe von Neuwagen mit diesem Antrieb teils sehr stark. Und diese Woche schließlich hat Toyota auf dem gerade eröffneten Genfer Autosalon verkündet, die Weiterentwicklung der Dieseltechnik bald stoppen und in Europa sogar keine Diesel-Pkw mehr verkaufen zu wollen. Noch in diesem Jahr wollen die Japaner mit dem Verkaufsende beginnen.

Eigentlich ist es kaum in Worte zu fassen, dass sich einige Führungsfiguren vom Großhersteller Volkswagen derart dumm verhalten haben, dass gleich eine ganze Branche in Generalverschiss geraten ist. Die Brisanz des angerichteten Dilemmas hat die Politik entweder verdrängt, nicht erkannt oder, was am wahrscheinlichsten sein dürfte: es einfach auf die lange Bank geschoben. Wie oft bei solchen Themen, bei denen die Emotionen hoch gehen, ist die Basis, anhand derer sich Hinz und Kunz eine Meinung bilden, eine Mischung aus Fakten, Weltanschauung, Halbwahrheiten, erhoffter öffentlicher Bedeutung wie auch aus politischen und handfesten wirtschaftlichen Absichten.

Fakten werden immer wieder unterdrückt

Wer diesen Kram beiseite lässt und stattdessen kühl rangeht, der wird sich schnell zwei Dinge sagen: Erstens werden die echten oder vermeintlichen Fakten zumeist so hingebogen, dass sie für die in der Regel ahnungslose und obrigkeitshörige Öffentlichkeit glaubwürdig klingen, und zweitens werden nur Studien instrumentalisiert, deren wissenschaftliche Urheber schon allein vom Namen her ein Mindestmaß an Eindruck erzeugen und deren Seriosität deswegen zumeist außer Frage steht.

Da genau liegt der Hase im Pfeffer. Denn wenn es um Umweltschutz im weitesten Sinn geht, haben nach der öffentlichen Meinung immer all jene recht, die sich dafür einsetzen. Unbequeme Fakten, die das Weltbild der Weltretter in Frage stellen könnten, werden da schon mal unterdrückt. Getreu dem Motto des alten deut-schen Dichters Christian Morgenstern, der um 1910 reimte: „Und er kommt zu dem Ergebnis: Nur ein Traum war das Erlebnis. Weil, so schließt er messerscharf, nicht sein kann, was nicht sein darf.“

So findet zum Beispiel der nordrhein-westfälische Lungenspezialist Dieter Köhler kaum mediales Gehör, weil er in puncto Stickoxide deutlich gegen den Strich bürstet. Er zweifelt nämlich solche Studienergebnisse massiv an. Professor Dr. med. Köhler ist nicht irgendwer. Er war unter den deutschen Lungenexperten einst eine große Nummer. Fünf Jahre lang, von 2002 bis 2007, war er Präsident der Deutschen Gesellschaft für Pneumologie, er lehrte an den Universitäten Marburg und Freiburg und war fast 28 Jahre lang ärztlicher Direktor eines Krankenhauses in Schmallenberg. Seit 2013 ist er im Ruhestand, was ihm nach eigenen Angaben vor allem eines gebracht hat: vollständige Unabhängigkeit. Deshalb ist er, wie er kürzlich der Deutschen Presseagentur (dpa) erzählte, einer der ganz wenigen, die sich erlauben könnten, die Studien zu Feinstaub und Stickoxiden zu kritisieren.

Die Wahrheit wird unter der Hand bestätigt

Wie Köhler hatte sich auch Martin Hetzel, Chefarzt der Klinik für Pneumologie am Krankenhaus vom Roten Kreuz in Stuttgart, vor etwas mehr als einem Jahr getraut, Kritik an der Aufregung um die Feinstaubbelastung zu üben. Laut Köhler ist Hetzel ein kluger Mann. Ansonsten hält Kohler von seiner Zunft und den Wissenschaftlern, die die Ergebnisse der Studien interpretieren, nicht mehr viel.

Bei der Debatte um Autoabgase geht es nach Köhlers Ansicht in Wahrheit gar nicht um die Gesundheit der Bevölkerung. Es gehe um Arbeitsplätze und staatliche Forschungsgelder, um Opportunismus und um Ideologie. „Meine Kollegen bestätigen mir unter der Hand, dass ich Recht habe“, sagt Köhler. „Aber sie sagen dann: Das ist die falsche Botschaft.“

Köhlers ‚falsche Botschaft‘ lautet: Die Gesundheitsgefahren durch Feinstaub und Stickoxide werden bewusst aufgebauscht. Die bisherigen Studien hätten allenfalls eine minimale Erhöhung des Gesundheitsrisikos an vielbefahrenen Straßen festgestellt Da aber der Einfluss von Feinstaub und Stickoxid auf die menschliche Gesundheit minimal sei im Vergleich zu Faktoren wie Rauchen, Alkohol oder Sport, könne man aus diesen Werten keine verlässlichen Schlüsse ziehen – nur Trugschlüsse. Es sei überdies auch kein Nachweis dafür erbracht worden, dass Feinstaub in höherer Dosis mehr Schäden verursache als bei niedriger Dosis. „Daran hätte man schon merken müssen, dass etwas faul ist“, so Köhler. Im übrigen gebe es auch keine biologische Erklärung dafür, „warum der Feinstaub das alles im Körper anrichten soll“. Methodisch seien die Studien zwar in Ordnung, sie würden aber von der Wissenschaft völlig falsch interpretiert. „Das finde ich moralisch verwerflich“, sagt er.

Grenzwerte kamen unterschiedlich zustande

Der Politik gibt er an der Entwicklung weniger Schuld als der eigenen Zunft. „Man hat das Thema Stück für Stück aufgeblasen, bis die Politik nicht mehr anders konnte und irgendwelche Grenzwerte und Verordnungen erließ“, meint er. Dass Stickoxide und Feinstaub das Leben verkürzen, hat sich in der öffentlichen Wahrnehmung von der bloßen Vermutung zur unumstößlichen Tatsache entwickelt. Köhler meint: „Wenn alle in eine Richtung laufen, kommst du dagegen nicht mehr an.“ Seine Kritik werde in der Regel totgeschwiegen.

Angesichts dessen drängt sich die Frage auf: Wie kommen die in Rede stehenden Grenzwerte für Stickoxid und vor allem für Stickstoffdioxid (NO2) zustande? Insbesondere NO2 gilt als schlimmer Krankmacher. Denn während im Freien, also auch an stark belastenden Innenstadtstraßen, maximal 40 Mikrogramm dieser Gase pro Kubikmeter Luft im Jahresmittel als Obergrenze gelten, sind in Büros sowie an anderen Arbeitsplätzen in geschlossenen Räumen 60 Mikrogramm und an industriellen Arbeitsplätzen sogar 950 Mikrogramm Stickoxide zulässig. Das ist fast das 24-Fache des Straßen-Grenzwerts. An keiner Straße in Deutschland wurde bisher ein derart hoher Wert gemessen. Wie also kommen diese Grenzwerte zustande? Das Oberbayerische Volksblatt ging bereits am 31. Juli 2017 der Frage nach, warum so viel Stickoxid für lange Zeit harmlos und so wenig für kurze Zeit eine todbringende Gefahr sein soll. Oder werden Arbeitnehmer bedenken- und verantwortungslos gefährlich hohen Schadstoffmengen ausgesetzt?

Die Antwort: Die Grenzwerte kamen durch eine völlig unterschiedliche Herangehensweise an das Problem zustande. Für den Arbeitsplatz wurde die Sache toxikologisch untersucht. In Versuchen mit Ratten wurde getestet, welche Konzentrationen sie aushalten. Erst bei 8000 Mikrogramm NOx pro Kubikmeter Luft kam es zu Reizungen der Atemwege. Das ist das Achtfache dessen, was an Arbeitsplätzen erlaubt ist. Bei 2000 Mikrogramm pro Kubikmeter erlitten die Ratten keinerlei messbare Schäden. Dem Grenzwert für die Straße, so berichtete das Blatt, liegt eine völlig andere Herangehensweise zugrunde: die epidemiologische. Dabei wird die gesundheitliche Beeinträchtigung von Betroffenen lediglich statistisch erfasst. Das Ergebnis: An Stellen, an denen durchschnittliche Stickstoffdioxid-Konzentrationen deutlich über den 40 Mikrogramm liegen, erleiden Menschen gesundheitliche Beeinträchtigungen. Deshalb hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) diese Zahl 2005 empfohlen – und die EU sie umgesetzt. Vorher, im Jahr 2003, wurden für die WHO Untersuchungen in vielen Städten der Welt ausgewertet. Aber nur statistisch.

Zusammenhang zwischen Stickoxiden und Gesundheitsschäden wurde noch nie untersucht

Den meisten, die in der jetzigen Diskussion um Stickoxide mitreden, dürfte in dem Zusammenhang unbekannt sein, dass es bei diesen epidemiologischen Untersuchungen gar nicht allein um Stickoxide ging. Deren Vorhandensein sei nur ein „starker Hinweis auf Fahrzeugemissionen“, heißt es in dem Bericht an die WHO. Alles, was sonst noch an Gift in der Luft war, wurde so dem Sündenbock Stickoxid in die Schuhe geschoben. Im Klartext: Wenn beispielsweise an einer vielbefahrenen Straße in München oder Hamburg 60 Mikrogramm Stickstoffdioxid im Jahresmittel gemessen werden, heißt das nicht, dass dieser Stoff es ist, der krank macht. Es heißt nur, dass die Summe der verkehrsbedingten Emissionen schädlich ist. Ob Stickoxid aus Dieselabgasen der Bösewicht ist – oder Feinstaub aus Benzinmotoren, wurde gar nicht untersucht. Wenn man NOx allein reduziert, löst man noch kein Problem. Die anderen – und damit auch die wirklich schädlichen – Schadstoffe sind nach wie vor in der Luft.

Dieser nicht vorhandene Zusammenhang war auch Thema vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages zur VW-Abgasaffäre. Die als Expertin angehörte Epidemiologin Annette Peters musste einräumen, dass ein direkter Zusammenhang von Stickoxiden und Gesundheitsschäden epidemiologisch noch nie untersucht wurde. Peters laut Protokoll: „Fürs NO2 bin ich mir keiner Studie bewusst, die das schon mal systematisch angeguckt hat.“ Das bedeutet: Keiner weiß, welche Schadstoffe welche Schäden verursacht haben, für die aber die Stickoxide in der gegenwärtigen Diskussion pauschal verantwortlich gemacht werden. Die krasse Fehlinterpretation von Forschungsergebnissen, die zu dem heutigen NOx-Grenzwert führten, hat noch eine zweite Dimension: Der WHO-Bericht basiert nahezu durchgängig auf Messungen, die in Zeiträumen oder Regionen vorgenommen wurden, in denen es noch keine wirksame Abgas-reinigung (für Benziner wie Diesel) gab oder in denen sie noch in den Kinder-schuhen steckte.

Wer die  Todesfallzahlen anzweifelt, wird nicht ernst genommen

Schön und gut, dass sich um die Gesundheit der Menschen gesorgt wird und es ist auch ohne Zweifel so, dass der Umweltschutz eines der höchsten Güter ist, die wir haben. Dennoch ist Vorsicht geboten. Denn man sollte ob solcher Ergebnisse oder Aussagen immer skeptisch bleiben, weil es sich dabei stets nur um Schätzungen, Hochrechnungen oder Annahmen handelt. Daraus ergeben sich mehrere Fragen: Wer hat die Untersuchung in Auftrag gegeben und wer bezahlt sie? Welche Ziele verfolgt die Organisation und was wird mit dem Ergebnis womöglich bezweckt? So ist es komplett verwirrend, wie genau der nebelhafte Begriff von „Tausenden von Toten“ durch Stickoxide, Feinstaub und Dieselruß zu deuten ist. Zum Beispiel hat das Umwelt- und Prognoseinstitut Heidelberg (UPI) vor mehr als zehn Jahren vermeldet, dass etwa 8000 Menschen pro Jahr an Lungenkrebs infolge eingeatmeten Dieselrußes sterben. Unklar ist, ob in Deutschland, Europa oder weltweit. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) wiederum sagte im Zusammenhang mit Dieselruß und Feinstaub 75000 Tote voraus. Weltweit? Nach einer anderen Studie kommen allein in Österreich und der Schweiz ca. 20.000 Menschen deswegen jedes Jahr ums Leben. Und eine Untersuchung der Universität Edinburgh kommt zu den drastischsten Aussagen: Angeblich gibt es wegen Feinstaub & Co. weltweit jedes Jahr 3,3 Millionen Todesfälle. Davon in Deutschland 35.000 alle zwölf Monate.

Die Forscher vom Max-Planck-Institut für Chemie in Mainz setzten vor mehr als einem Jahr noch eins drauf. Sie sagten: Bis 2050 könne sich die Zahl der Todesfälle verdoppeln, wenn nicht weitreichende Maßnahmen zur Verbesserung der Luftqualität ergriffen würden. Und weil die (gewollte) Dramatik, die von solchen Zahlen ausgeht, offenbar noch nicht reicht, stößt ganz aktuell in dieser Woche auch das Umweltbundesamt mit einer Studie ins gleiche Horn: Die Stickoxidbelastung in Deutschland sei die Ursache für Krankheiten von Millionen Menschen. Der Untersuchung zufolge lassen sich allein für das Jahr 2014 rund 49.700 verlorene Lebensjahre aufgrund von Herz-/Kreislauferkrankungen auf die Belastung mit Stickstoffdioxid zurückführen. Die mögliche Spannbreite liegt zwischen 17.000 und 82.000 verlorenen Lebensjahren. Dabei handelt es sich um eine statistische Schätzung.

Wer als Politiker angesichts dieses Studien- und Zahlen-Kuddelmuddels wählbar bleiben oder werden will, dem bleibt gar nichts anderes übrig, als sich einen Aspekt zwecks glaubwürdigem Umweltengagements raus zu picken und mindestens so zu tun, als brenne einem dieses Thema auf der Seele. Wer jedoch die Ergebnisse anzweifelt, wird nicht ernst genommen, wie jener erwähnte Lungenfacharzt Dr. Köhler, dessen Expertise und Schlussfolgerung keine Verbreitung findet. Ohne Zweifel ist es so, dass diese Gase natürlich gesundheits-schädlich sind. Allerdings nur in hoher Konzentration. Was bedeutet, dass man schon stundenlang und dicht am Dieselauspuff leben muss, um tatsächlich Schaden zu nehmen. Womöglich geht es bei der Veröffentlichung solcher Studienergebnisse also doch vor allem nur darum, möglichst viele staatliche Zuschüsse zu bekommen und gleichzeitig das Wahlvolk hinter die Fichte zu führen. Dann allerdings wären die angeblichen Umweltschützer nicht besser als jene Gruppierung, die von den Ökos gerne als menschenverachtend kritisiert wird – die Autoindustrie.

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