Daimler-Betriebsrat Klemm: „Ein Stundenverdienst von 8,19 Euro in unseren Fabriken ist so oder so unerträglich“

Betriebsratschef Erich Kleimm

Betriebsratschef Erich Klemm ist sauer.

Der Daimler-Betriebsratsvorsitzende ist gleich dreimal sauer: auf die Reportage „Hungerlöhne am Fließband“, auf die Diskussion bei „Hart, aber fair“ und auf die Daimler-Unternehmensleitung. In einem Schreiben an die Belegschaft schreibt Erich Klemm: „Viele Beschäftigte sind empört darüber, dass so etwas bei uns in der Fabrik möglich ist, aber auch darüber, dass in der Reportage und in der folgenden Hart aber fair-Sendung allein Daimler an den Pranger gestellt wurde.“ Aus Sicht des Gesamtbetriebsrats sei letzteres besonders unfair, „da wir gemeinsam mit der Belegschaft mit die härtesten Regelungen in der Branche zur Regulierung der Leiharbeit in der Produktion erstritten haben“.

Klemm sieht den Daimler-Betriebsrat zu Unrecht in ein schiefes Licht gerückt, habe er doch tatsächlich in Sachen Leiharbeit hart gefightet und viel erreicht. Aber das darzustellen war nicht die Intention und Aufgabe des Reporters. Er wollte aufdecken, dass der Steuerzahler über Hartz-IV-Aufstocker die Mercedes-Produktion subventioniert. Wie der SWR mitteilt, habe man neun Monate an dem Film gearbeitet und die Story wasserdicht gemacht.

Im Schreiben Klemms heißt es: „Bei den Werkverträgen – also dem Einkauf von Dienstleistungen – fehlt jede gesetzliche Basis für eine Einflussnahme der Betriebsräte. Es gibt nicht einmal eine Informationspflicht des Unternehmens. Trotzdem ist es uns betrieblich gelungen, eine Pilotvereinbarung für die Entwicklungsbereiche abzuschließen. Danach muss dem Betriebsrat die Zahl der Werkverträge genannt werden und es findet eine Überprüfung statt, ob es sich im konkreten Fall wirklich um einen juristisch korrekten Werkvertrag handelt. Ist das nicht der Fall, muss das Arbeitsverhältnis in Arbeitnehmerüberlassung umgewandelt werden – was mehr Transparenz und Einflussnahme für die betriebliche Interessenvertretung bedeutet, auch wenn das bei weitem nicht ausreicht.“

Und weiter heißt es: „All dies wurde in dem Fernsehbeitrag nicht als Erfolg gewürdigt, sondern ignoriert, obwohl die Informationen vorlagen.
 Ignoriert wurde auch, dass es bei Daimler – wieder auf Druck des Betriebsrats und der Belegschaft – bisher gelungen ist, eine im Vergleich mit dem Wettbewerb relativ hohe Fertigungstiefe zu erhalten. Wir machen viele Tätigkeiten, die bei den direkten Wettbewerbern längst von Fremdfirmen erledigt werden, noch selbst. Das ist die beste Garantie für faire Arbeitsbedingungen.“

Hier verweist Klemm zu Recht auf ein mediales Dilemma: Einerseits kritisieren die Wirtschafsjournalisten mangelnde Effizienz bei hoher Fertigungstiefe, andererseits kritisieren die Medien, wenn ein Unternehmen die Fertigungstiefe reduziert und viele Arbeiten an Subunternehmen vergibt. Klemm kritisiert: „Um zum Wettbewerb aufzuschließen will der Vorstand künftig verstärkt Aufgaben im Dienstleistungs-, Logistik- und Entwicklungsbereich fremd vergeben. Das Unternehmen orientiert sich dabei an Wettbewerbern, bei denen in einzelnen Werken über 50 Prozent der Wertschöpfung durch Fremdfirmen erbracht wird.“

Die Daimler-Führung wehre sich gegen eine weiter gehende betriebliche Regulierung mit dem Argument, dass die Konkurrenz über dies Flexibilität verfüge und man sich deshalb nicht in seiner „unternehmerischen Freiheit“ einschränken lasse.

Deutlich wird Klemm in seinem Schreiben an dieser Stelle: „Allen Akteuren muss klar sein: Ergebnis einer solchen Unternehmenspolitik wäre, dass Fremdfirmen unreguliert bei Daimler auf dem Werksgelände – in unseren Fabriken und Büros – agieren und Stammbelegschaft ersetzt wird. Missstände, wie sie in dem genannten Fernsehbeitrag aufgezeigt wurden, sind dann nicht auszuschließen. Dabei ist es aus unserer Sicht nicht entscheidend, ob es sich im konkreten Fall tatsächlich um illegale Arbeitnehmerüberlassung oder um einen korrekten Werkvertrag gehandelt hat. Ein Stundenverdienst von 8,19 Euro in unseren Fabriken ist so oder so unerträglich. Sollte es sich allerdings herausstellen, dass es sich um illegale Arbeitnehmerüberlassung gehandelt hat, dann müssten die von der Fremdfirma eingesetzten Arbeitskräfte fest übernommen werden. Klemm fordert die Politik auf, gesetzliche Grundlagen zu schaffen, dass Betriebsräte bei Werkverträgen eingreifen können und appelliert an die Daimler-Führung, darüber zu verhandeln.

Ein mit den Vorgängen vertrauter Manager erläutert, „dass kein Vorstand je angeordnet hat, am Band Hungerlöhne zu zahlen“. Vielmehr würden Führungskräfte immer wieder auf Compliance-Regeln hingewiesen und sie würden dann auch bestätigen, dass sie sich daran halten. „Von oben kommen aber Zielvorgaben, die manch kleiner Abteilungsleiter dann irgendwie zu erfüllen gezwungen ist. Das kann dann wie in dem Reportage-Fall geschildert zu unheilvollen Folgen kommen, die so aber niemand explizit gewollt oder gar angeordnet hat.“ Allerdings sei das Unternehmen ganz klar in der Pflicht, so etwas künftig zu verhindern.

 

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