Vor gut 65 Jahren wollten die Amis der Welt weismachen, dass wir bald in Raumschiffen auf Rädern reisen. Eine Auswahl der Verrücktheiten mit Gasturbine und sogar Atomantrieb.
Von Harald Kaiser
Ein Hauch von Hollywood umwehte die Szenerie. Gleißende Scheinwerfer, sphärische Klänge und eine Tanzcombo bildeten den Rahmen für die Präsentation einer Art Raumschiff auf Rädern. Das Waldorf Astoria Hotel in New York war 1958 von General Motors (GM) dafür ausgesucht worden, mordsmäßig auf dicke Hose zu machen. Der Konzern wollte dort ein Automobil zeigen, das nicht weniger als den weltweiten Autobau revolutionieren sollte. Es handelte sich um das Showcar Firebird III, das von seiner Gestalt her so wirkte, als würde es sogleich zur nächsten Galaxie starten wollen.
Chefdesigner Harley Earl, als Zweimeter-Hüne selbst eine Schau und zudem in Hollywood geboren, sagte bei der Präsentation: „Das ist das Auto, mit dem Sie eines Tages zum Astroport fahren werden, wenn Sie ihren Trip zum Mond antreten.“ Eines mit drei riesigen Leitwerken hinten, vier weiteren Stummelflügeln drum herum sowie zwei nebeneinander angeordneten Plexiglaskuppeln für je einen Reisenden. Unter der imposanten Hülle steckte eine 225-PS-Gasturbine, anstelle eines Lenkrads gab es einen Steuerknüppel, mit dem Gas gegeben und gebremst werden konnte.
Die meisten spektakulären Showcars verschwanden wieder von der Bildfläche
Dass der markige Satz des Obergestalters nicht über den Stellenwert eines Horoskops hinaus gekommen ist, verwundert nicht weiter. War doch die Straßenrakete nichts weiter als eine spinnerte Studie oder ein verrücktes Gedankenspiel mit dem Ziel, die Medien zu füttern. Wie schon mit den etwas weniger spektakulären Showcars Firebird I und II 1953 und 1957. Alle waren viel zu weit weg von den tatsächlichen Bedürfnissen der Autofahrernation USA. Auch Firebird IV, der 1964 Schlagzeilen machte, war nur eine Augenweide ohne Innenleben. Drei Jahre später blieb ein Rest der irren Visionen übrig: 1967 fand wenigstens der Name Eingang in das Modell-Universum von GM – als Pontiac Firebird.
In der Geschichte des Autos gab es Unmengen solcher verheißungsvollen Ankündigungen wie auch die absonderlichsten Kuriositäten. Zum Beispiel den elektrisch betriebenen „FX-Atmos“ mit gedachtem Atomreaktor, den Ford 1954 im damals anbrechenden Kernkraftzeitalter vorstellte. Ford sah sich von GM herausgefordert, eine ähnliche Idee wie die Firebird-Reihe auf Räder zu stellen. Völlig gleichgültig, ob dafür auch nur die geringste Chance auf Realisierung bestand.
Sogar an Atomantriebe wurde gedacht
Aus den vorderen Kotflügeln des Atmos ragten seltsame Gebilde heraus, riesigen Injektionsnadeln gleich. Gerade so, als strecke ein im Inneren verborgener elektronischer Zauberkasten seine Fühler aus, um den Vordermann auf gebührendem Abstand zur eigenen Blechpelle zu halten. Derlei Krimskrams fand sich bis etwa Mitte der 60er-Jahre regelmäßig an solchen Experimental Cars, mit denen die Autokonzerne deutlich machen wollten, wohin die Reise technisch und optische gehen könnte.
Obwohl selbst technikhörige Fans schon damals nicht recht glauben wollten, dass das geplante Atomauto jemals auf die Straße kommt, ließ sich Ford von dem atomaren Ansatz nicht abbringen. 1958 stellte der Konzern den „Nucleon“ vor und behauptete, dass der geplante Mini-Kernreaktor unter der Haube Antriebsstrom für etwa 8.000 Kilometer liefern würde. Was er indes nur lieferte, waren die beabsichtigten Schlagzeilen.
Zwar verschwand auch diese Idee rasch in der Grabbelkiste der Verrücktheiten. Doch vier Jahre später, 1962, kam unverdrossen der dritte Streich: Diesmal hieß das Fahrzeug „Seattle-ite“, das als fahrbarer Reaktor konzipiert wurde. Der Name war einerseits eine Anspielung auf die US-Westküstenestadt Seattle, in der die Glitzershow stattfand. Andererseits sollte mit dem Kunstbegriff auf den überirdischen Anspruch der Kreation als eine Art Satellit hingewiesen werden. Ernst zu nehmen war von diesen Schöpfungen keine. Doch die landesweiten „Boah-ej!“-Schlagzeilen führten zum beabsichtigen Ergebnis: Man redete über sie. Doch als das Brimborium auf den Ausstellungen verklungen und andere Themen Pressewirbel erzeugten, ebbte die Aufregung um die Atom-Hirngespinste genau so schnell wieder ab wie sie zuvor hochgejazzt worden war.
Manche Show-Exemplare könnten aus dem „Krieg der Sterne“ stammen
1964 traute sich der Autoriese GM aus heutiger Sicht Unerhörtes – er zeigte ein Auto für eine spezielle Zielgruppe: Der „Runabout“ wurde auf der Weltausstellung in New York als kommendes Hausfrauenauto mit nur drei Rädern angepriesen. Wobei das Vordere zum besseren Einparken um 180 Grad gedreht werden konnte. Hinten hatten die Konstrukteure einen ausfahrbaren Einkaufswagen installiert. Der Sinn: Die Hausfrau zieht den leeren Einkaufswagen auf dem Parkplatz des Supermarkts aus dem Heck raus und schiebt ihn später beladen wieder rein, wobei dessen kleinen Rädchen automatisch ein- oder ausklappen. Zuhause kann sie den Einkauf dann bis zum Kühlschrank rollen. Die gekauften Lebensmittel müssen also nicht mehrfach umgepackt werden.
Aufregung wegen des Machogedankens dahinter kam damals nicht auf, jedenfalls nicht spürbar. Dennoch trug dieses Konzept die Gene eines Flops in sich und es kam nie über den Status eines Einzelstücks hinaus. Aus heutiger Sicht bleibt jedoch die interessante Frage: Hätte die Nummer mit dem Einkaufswagen im Heck realistischere Chancen auf eine Verwirklichung gehabt, wenn die Idee geschlechtsneutral verkauft worden wäre? Gut vorstellbar, dass dieser pfiffige Einfall auch einkaufende Männer überzeugen würde.
Von der Gestalt her könnten die meisten dieser Ungetüme auch heute noch ohne weiteres der Filmserie „Krieg der Sterne“ entstammen. Sie sahen mit ihrem futuristischen Design und dem schwergewichtigen Chrombalast mitunter aus wie Ufos nach einer misslungenen Notlandung. Alles, was Eindruck auf den stets überfüllten Motorshows in den USA zu machen versprach, war für die Autodesigner gerade gut genug. Von Mal zu Mal überboten sich die Formgeber von GM, Ford und Chrysler in einem erbitterten Ideen-Wettstreit vierteljahresweise um das angebliche Auto der Zukunft. Etwa die auf Knopfdruck rausfahrenden gewaltigen Heckflossen oder Steuerknüppel anstelle eines Lenkrades. Derartiges schien damals das Non-plus-ultra zu sein. Klein und fein hingegen, Stadtwagen mit schwächlichen Motörchen, wie sie zur gleichen Zeit in Europa Mode wurden, kam jenen Künstlern nicht in den Sinn.
Im Ford X-100 stecken fast 13 km Kabel
Einer von ihnen, die sich nach Herzenslust austoben durften, hieß Elwood Engel. Der Ford-Entwickler stellte 1953 den Raumkreuzer „X-100“ auf Räder, an dessen Innenleben sich heute noch Technikfans erfreuen dürften. Vollgestopft mit 12,8 Kilometer elektrischen Strippen, 50 Glühbirnen, 44 Elektroröhren, 24 Elektromotoren, 92 Stromschaltern und 53 Relais ging in dem schnittigen Blechriesen alles wie von selbst. Sein gläsernes Cabriodach schloss sich bei Regen automatisch, und bei Bedarf öffneten sich Motorhaube und Kofferraumdeckel wie von Geisterhand bewegt. Später kam mit dem „X-1000“ im Jet-Look und ausfahrbaren Heckflossen noch eine Steigerung hinzu.
Dass von all diesen Gimmicks wenigsten ein oder zwei Sonderausstattungen tatsächlich wie versprochen funktionierten, wäre in den 50er- und 60er-Jahren eher ungewöhnlich gewesen. Denn gemeinhin standen die Messebesucher vor Blendern und Schwindlern, die sich im Rampenlicht auf Bühnen drehten und dabei häufig von sphärischen Klängen untermalt wurden. Zumeist trugen die Möchtegern-Autos der Zukunft außer stützenden Holzlatten nichts besonderes unter dem futuristischen Kleid.
Das traf auch auf den „Lincoln Futura“ zu, dem schließlich eine spezielle Karriere bevorstand. Viel hatte das Auto mit dem zukunftsträchtigen Namen und der Breitmaulhai-Optik nicht zu bieten. Es fuhr an einem März-Morgen des Jahres 1955 sogar ganz unfuturistisch dank seines stinknormalen Benzinmotors aus eigener Kraft zur Premiere in den New Yorker Central Park. Erwähnenswert an dem 5,79 Meter langen Schau-Meister sind noch die zwei Plexiglaskuppeln für die Passagiere sowie die Lackierung des Lulatsch. Die schimmerte wie die Haut eines phantastischen Tiefseemonsters. Ein Effekt, der mit einem Destillat aus Fischschuppen erzielt wurde. Ford-Chefdesigner George Walker schenkte das Auto später dem Karosserieveredler George Barris in Hollywood. Der machte die Flunder 1966 nach kleinen Umbauten zum Filmstar. Es wurde das erste Batmobil von Batman.
Auch auf die besten Ideen rieselte der Staub des Vergessens
Anders als die meisten dieser Möchtegerns schob Honda Jahrzehnte später eine Studie auf den Messestand der Tokio Motor Show 2011, von der man sich gewünscht hätte, sie würde auf den Markt kommen. Das „Micro Commuter Concept“ sollte zeigen, wie städtische Mobilität demnächst aussehen könnte. Es handelte sich um ein dreisitziges und 2,50 Meter kurzes Zubringer-Elektroauto für die City, das allein schon wegen seines Looks hervorstach. Es kam mit einer Art Nachthemd über den Rädern im Gespensterlook daher. Zudem erwies es sich als Überraschungsei. Denn in einer der zwei Türen hatten Hondas Zukunftsforscher ein Mini-Elektromotorrad platziert, mit dem der Fahrer oder die Fahrerin vom Parkplatz am Stadtrand abgas- und staufrei in die Innenstadt flitzen soll.
Doch leider blühte auch dieser Studie das typische Schicksal: Kaum waren die Blitzlichter erloschen, rieselte der Staub des Vergessens auf sie.
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