Nirgendwo wird so gelogen wie in Nachrufen, heißt es. Dass manche der Lobes-Hymnen, die nun über Ferdinand Piëch ausgebreitet werden, höflicher Pflicht geschuldet sind, mag so sein. Aber alle Nachrufe verbindet ein gemeinsamer wahrer Kern: Prof. Dr. h.c. Ferdinand Piëch war ein genialer und visionärer Autokonstrukteur und Manager, der Deutschlands Schlüsselindustrie weltweit positiv geprägt hat.
So habe ich ganz persönliche Erfahrungen mit dem „Alten“ gemacht, die ihn für mich ganz anders erscheinen lassen, als es in den Medien oft dargestellt wurde. Piëch war zwar ein genialer Strippenzieher, der nicht nur technische, sondern auch Personal-Entscheidungen gnadenlos exekutierte, sondern auch jene förderte, die dieselben Qualitätsansprüche und Produkt-Visionen hatten wie er. Martin Winterkorn gehörte zu den von ihm Geförderten ebenso wie Ex-Audi-Chef Rupert Stadler und zahlreiche Namenlose, die sein Ausscheiden aus dem VW-Kosmos bis heute bedauern.
Als er Entwicklungschef bei Audi war und ich Chefredakteur der Autozeitung in Köln, habe ich die andere Seite dieses knallharten Managers kennen gelernt. Es ging um Audi-Testwagen, die angeblich mit schärferen Nockenwellen ausgerüstet gewesen sein sollen, um bessere Beschleunigungswerte zu erzielen. Wir bei der Autozeitung konnten die Gerüchte mit eigenen Messungen widerlegen. Entsprechend haben wir darüber berichtet. In einem langen persönlichen Brief an mich bedankte sich Piëchfür „diesen fairen Journalismus“. Ein paar Tage später rief er mich an und sagte: „Wenn Sie jemals mit Fragen an Audi bei uns im Hause nicht weiterkommen, können Sie mich auf meiner Geheimnummer jederzeit direkt erreichen.“ Allerdings musste ich davon nie Gebrauch machen.
Piëchs Schlagfertigkeit konnte manchmal überraschen
Ein andermal habe ich seine technische Kompetenz und seine Schlagfertigkeit, die ihm rhetorisch niemand zutraute, erfahren. Bei der Vorstellung des Audi 80 quattro in Sankt Moritz fragte ihn ein Journalist, ob vier angetriebene Räder wirklich notwendig und sinnvoll seien. Er antwortete für mich dermaßen beeindruckend plausibel, dass ich dieses Argument nie vergessen werde. Er fragte den Journalisten mit seinen typisch leisen, vergifteten verbalen Pfeilen nur: „Halten Sie Bremsen an allen vier Rädern für sinnvoll?“ Dem Journalisten verschlug es die Sprache, er antwortete nicht und sein verkrampftes Lächeln war ein Lächeln mit nichts dahinter als Zähnen. Irgendwie mag ihm seine Frage auf einmal peinlich gewesen zu sein. Mit Piëchs Antwort war alles und mehr gesagt. Und der Siegeszug des quattro-Antriebs nahm seinen Lauf.
Man kann sich vorstellen, wie gefürchtet eine argumentative Auseinandersetzung mit dem Alten gewesen sein mag. PiëchsAutorität basierte aber auf einer mehrdimensionalen und enormen Technik-Kompetenz. Niemand konnte ihm etwas vormachen. Interviews mit ihm gestalteten sich schwierig, weil seine leise Stimme irgendwie so klang, als wolle er eigentlich gar nichts sagen. Jede Antwort musste man sich hart erarbeiten. Doch was er so leise formulierte, war alles andere als harmlos und kostete manchen aus der Führungsriege den Job. Der Bereichsleiter eines großen bayerischen Herstellers deutete mir schon lange vor dem offiziellen Ausscheiden Bernd Pischetsrieders als VW-Chef an, dass seine Tage bei Volkswagen gezählt wären. Piëchhabe ihm beiläufig bei einer VDA-Konferenz zu Pischetsrieder gesagt: „Der kann´s net“… Einen Rauswurf aus einer Spitzen-Position kann man wohl nicht kürzer formulieren.
Vier Wochen später war Pischetsrieder Geschichte, obwohl ihm noch kurz vorher der Vertrag verlängert worden war, der von Seiten Volkswagen dann allerdings vollständig erfüllt wurde. Auch das ist Piëch in allen Personalentscheidungen gewesen: finanziell sehr großzügig.
Rolls-Royce ins Unternehmen zu holen, blieb ein unerfüllter Traum
Pischetsrieder wollte er nicht verzeihen, dass sich BMW die Luxus-Marke Rolls-Royce aneignen konnte, während für Volkswagen nur Bentley geblieben ist. PiëchsTraum war es, die britische Luxusmarke mit dem RR-Emblem und der Flying Lady auf dem Kühler in sein Automobil-Universum zu bekommen. Das ist einer von wenigen unerfüllten Piëch-Träumen.
Legendär auch sein Satz über den damaligen Porsche-Chef Wendelin Wiedeking. Auf die Frage eines Journalisten, ob der Porsche-Chef noch sein Vertrauen habe, verschlüsselte er den anstehenden Rauswurf in dem Satz: „Das Noch können Sie streichen.“
Auf einer Audi-Veranstaltung bot mir der damalige PR-Chef Lutz Schilling beim Abendessen an, neben Piëch sitzen zu dürfen. Seine damalige Frau und jetzige Witwe Ursula Piëch saß neben ihrem Mann und ich wurde Zeuge eines Gesprächs, wie es normaler nicht sein kann. Piëch wandte sich zu mir und beklagte, dass seine Frau immer zu schnell auf der Autobahn unterwegs sei und erst kürzlich wieder in eine Radarfalle geraten war. Seine Frau lachte nur und wies darauf hin, dass ihr Mann auch schon ein paarmal geblitzt wurde. Das familiäre Geplänkel erinnerte mich an Diskussionen mit meiner Frau. Das Ehepaar Piëch eine Familie wie du und ich? Auf jeden Fall endete die freundlich-neckisch geführte Auseinandersetzung damit, dass Piëch anbot, die Strafe für seine Frau zu bezahlen, ihren Porsche aber gegen ein langsameres Auto auszutauschen. Der „Alte“ sagte das so liebevoll, dass man durchaus den weichen Kern hinter seiner stoischen Mimik erkennen konnte, wenn es um den familiären Frieden ging. Familie war Piëch enorm wichtig, so lange es nicht den Porsche-Zweig betraf, mit dem er bis zuletzt gehadert hat.
„Auf Distanz zu Winterkorn“
Als Piech im Spiegel „auf Distanz“ zu Martin Winterkorn ging, war auch Winterkorns berufliche Zukunft entschieden. Ich spekuliere jetzt mal ziemlich gewagt, dass der „Alte“ in seinem Netzwerk sehr früh erfahren hat, wie in den USA abgasseitig gemogelt wurde oder gar werden sollte. Eine so überdimensionale Entscheidung, in den USA die Diesel-Abgase zu schönen, kann dem bestinformierten Piëch nicht entgangen bzw. verheimlicht worden sein. Piëch hat gegenüber der Staatsanwaltschaft erklärt, tatsächlich von dem Betrug gewusst zu haben. Allerdings will er davon erfahren haben, als er nicht mehr eingreifen konnte. Er habe allerdings den Aufsichtsrat gewarnt, was dieser dementiert. Mit dem Tod Piëchs bleibt dieses Thema im Dunkeln.
Piëch muss sehr früh von dem Betrug gewusst haben. Wahrscheinlich war dies der Grund, Winterkorn öffentlich das Vertrauen zu entziehen. Piëch muss veritable Gründe gehabt haben. Und da reichen unzureichende US-Verkäufe nicht aus. Meine Überzeugung ist und bleibt es, dass Piëch vom Abgasbetrug schon in der Planungsphase erfahren haben dürfte und geahnt hat, wie hoch das Risiko für VW werden würde. Gegenüber der Staatsanwaltschaft sagte er, dass er die Verantwortlichen gewarnt habe, den Betrug umzusetzen. Piëch sah offensichtlich das Risiko, das schließlich allein in den USA 23 Milliarden Dollar gekostet und zwei Managern hohe Gefängnisstrafen in Amerika und Martin Winterkorn eine Anklage samt internationalem Haftbefehl eingebracht hat.
Weitere Milliarden stehen in Europa im Feuer. Noch immer prozessiert der in den USA zu sieben Jahren Haft verurteilte Oliver Schmidt gegen seine fristlose Kündigung und gegen von VW geforderten Schadenersatz. Es wäre interessant zu erfahren, wie Piëch die „Diesel-Thematik“ zuletzt gesehen und beurteilt hat. Vielleicht kommt hier noch Überraschendes an die Öffentlichkeit. Ferdinand Piëch wird noch lange medial in Erscheinung treten.
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