60 Jahre Trabi: Die überdachte Zündkerze im Selbstgespräch

Trabi

Der Trabant war ein sozialistisches Erfolgsmodell, belächelt, bewundert und mit langer Wartezeit versehen: Der legendäre Zweitakter erinnert sich. Gastautor Harald Kaiser hat zugehört.

„Alle nennen mich Trabi. Wahrscheinlich, weil ich so niedlich bin. Mit vollem Namen heiße ich Trabant 601. So möchte ich auch genannt werden, denn ich bin ein vollwertiges Auto. Die ersten Jahre fand ich es gemein, wenn mich jemand Trabirief. Das klang, als sei ich nach einem zu heißen Bad eingelaufen. Inzwischen habe ich mich aber daran gewöhnt und empfinde die Bezeichnung sogar als Liebkosung.

Geboren wurde ich im August 1958. Das war ein großer Moment, denn ich ging in Serie. Mein Name lautete damals noch Trabant P 50. Meine Eltern heißen VEB Sachsenring Automobilwerke Zwickau. In den ersten Jahren bekam ich 140 000 Brüder, als ich noch P 50 hieß. Später, nachdem ich umgetauft wurde, gab es mehr als 2,5 Millionen Verwandte.

Ich weiß, die Wessis lachten lange über mich, weil ich mit meinen anfangs 18 PS aus 500 Kubikzentimeter Hubraum keine Sprotte vom Teller ziehen konnte. Aber 1964 ging ich eine Zeit lang in die Muckibude und kam gestärkt mit 26 PS wieder raus. 100 fahrich seither locker, vollbesetzt mit vier Mann und Gepäck. Sicher, es ist eng. Doch dass ich das leiseste Auto der Welt sein soll, weil man sich beim Fahren zwangsläufig mit den Knien die Ohren zuhält, das finde ich unerhört. So krumm sitzt bei mir keiner. Ihr Wessis sagt so was ja nur, um mit euren Kisten glänzen zu können

Die Menschen in der ehemaligen DDR waren froh, dass es mich gab. Sonst hätten die meisten nämlich mit dem Fahrrad fahren müssen. Ich bin stolz auf mich, schließlich bin ich doch so was Ähnliches wie euer alter Volkswagen, der Käfer. Der war ebenfalls laut, eng, unpraktisch und hatte mit 34 PS auch nicht viel mehr Kraft als ich.

Von Geburt an habe ich Frontantrieb. Dass der gerade im Winter ungeheure Vorteile hat, weil man nämlich im Schnee besser vorankommt, wussten meine Väter von Anfang an. Ihr Wessis habt das erst viel später begriffen. Lange habt ihr Heckschleudern gebaut, die bei glatter Piste mit durchdrehenden Rädern für unfreiwillige Pirouetten sorgten.

Ich weiß, meine Heizung taugt nichts. Dafür habich aber einen großen Vorteil in die Wiege gelegt bekommen, von dem ihr lange nur träumen konntet: Ich roste nicht. Denn meine Karosserie besteht aus Duroplast. Das ist ein Kunststoff. Ein Material, an dem die Stahl- und Strafzölle des US-Präsidenten Donald Trump einfach abprallen sofern mich ein Amerikaner importieren würde. Denn während euer Käfer damals häufig schon im Prospekt zu rosten anfing und mancher sogar ein paar Jahre später Kurs auf den Schrottplatz nehmen musste, fahren von mir immer noch tausende Brüder ohne jede Roststelle rum. Auch so gesehen bin ich einmalig.

Neumodischen Firlefanz kennich nicht. Elektronik? Ich weiß nicht, was das ist. Seit meiner Geburt hat sich an mir nichts Wesentliches verändert. Ein Facelift, wie ihr das Überarbeiten nennt, hat bei mir in den 60 Jahren nur ein oder zweimal stattgefunden. Genau weiß ich das nicht mehr. Ich bin ja schon älter. Wenn ihr sehen wollt, wie toll wir von der Trabi-Familie sind, dann fahrt nach Zwickau ins August-Horch-Museum. Dort läuft aus Anlass meines Geburtstages eine Sonderausstellung noch bis zum 19. August. Dort dürft ihr meine Verwandten gerne streicheln.

Unter meiner Fronthaube schlägt seit eh und je ein Zweizylinder-Zweitakter-Herz. das von einem Gemisch aus Benzin und Öl lebt. Jahrzehnte nachdem ich auf die Welt gekommen bin gab es auch Brüder von mir mit einem VW-Motor. Aber darüber will ich nicht reden. Denn die sind irgendwie nicht echt. Mein Zweitakter macht mich zum Stinker, sagt ihr. Was hinten rauskommt riecht nicht nur nach Frittenbude und verbranntem Gummi, sondern verpestet auch noch die Umwelt. Ihr sprecht unverbrannten Kohlenwasserstoffen und son Zeugs. Keine Ahnung, was das sein könnte.

Warum habt ihr eigentlich so mitleidig gelächelt, als im November 1989 die Mauer fiel und meine Verwandten zu Tausenden eure Straßen geflutet haben? Konntet ihr nicht verstehen, dass wir endlich mal auf guten Straßen ruhig rollen und nicht mehr auf Kopfsteinpflaster hoppeln wollten? Es macht mir traurig, dass ihr bis heute nur eure Maßstäbe anlegt. Ihr mit euren Protzkisten. Nehmt mich doch einfach so, wie ich bin. Und blöd fand ich auch schon immer die Spottnamen für mich, etwa „überdachte Zündkerzeoder Gehhilfe. Oder Witze wie diesen: Ein Trabi steht an einer Ampel. Als die von rot auf grün springt, kommt der nicht weg. Warum? Er steht auf einem Kaugummi.

Damals, beim Mauerfall, bin ich zum Symbol der neuen Freiheit geworden. Es war schon toll, als mein Vergaser erstmals Westluft eingeatmet hat. Ich bin fest davon überzeugt, dass ich, der klitzekleine Trabi ausm Osten, damals nicht nur das Auto des Jahrhunderts war, sondern das des Jahrtausends. Denn mit mir hat sich ein ganzes Volk auf den Weg in die Freiheit gemacht. Das macht mir keiner nach.“

1 Kommentar zu "60 Jahre Trabi: Die überdachte Zündkerze im Selbstgespräch"

  1. Danke dafür!Das ist sehr hilfreich.

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