Audi-pilotiertes Fahren fühlt sich wie Science Fiction an

Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt sieht das ganz anders: „Automatisiertes Fahren ist keine Science Fiction.“ Und wo er recht hat, hat er recht. Denn was sich für mich wie Science Fiction anfühlt, ist nahezu Realität. Auch wenn es erst in ein paar Jahren in Serie geht.

Dobrindts Fazit nach absolvierter Testfahrt im autopilotierten Audi A7 auf der Autobahn zwischen Ingolstadt und Greding klingt nach rückhaltloser Begeisterung. Und wie ihm ergeht es dieser Tage ein paar Auto-Journalisten, die zum ersten Mal persönlich erleben, was es heißt, bei relativ dichtem Oster-Rückreiseverkehr bei 120 km/h die Hände vom Lenkrad zu nehmen, nein: nehmen zu müssen. Denn ein paar Sekundbruchteile lang möchte man sie reflexartig wieder dort positionieren, wo sie eigentlich hingehören. Es dauert nur einen Augenblick, bis der Fahrer sich dann doch bereitwillig einer Technologie anvertraut, die innerhalb eines komplexen Systems aus Sensoren, sieben Kameras, Laser-Strahlen und 210 Rechenkernen in einer Sekunde 650 Milliarden Rechenschritte bewältigt. Diese Zahl ist weder ein Zahlendreher noch müsste es Millionen heißen: 650 Milliarden Rechenschritte in einer Sekunden, das macht dann schon irgendwie atem- oder sprachlos. Man kann sich diese Zahl einfach nicht vorstellen. Noch dazu, wenn man sich vergegenwärtigt, dass dieses elektronische Superhirn, zFAS genannt, von den Audi-Ingenieuren innerhalb weniger Jahre von Reisekoffergröße auf Laptop-Dimensionen geschrumpft worden ist.

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Auf der Autobahn beweist der Autopilot seine Fähigkeiten.

Vom Fahrer auf zwei Tasten auf dem Lenkrad aktiviert, erfasst ein Radarsystem dabei das Vorfeld des Autos, eine Videokamera erkennt Fahrbahnmarkierungen, Leitplanken, Fußgänger und andere Fahrzeuge. Ein Laserscanner liefert zusätzlich hochpräzise Daten zu Objekten in einer Entfernung von bis zu 80 Metern. Bis zu zwölf Ultraschall-Sensoren und vier Kameras überwachen darüber hinaus den kompletten Bereich rund um das Auto. Das zFAS errechnet dann aus allen Sensordaten ein Umgebungsmodell, welches die vorherrschende Verkehrssituation umfänglich beschreibt. Das System ist damit beispielsweise in der Lage, Fahrzeuge die vor dem eigenem Fahrzeug einscheren, sehr früh zu erkennen. Und das Ergebnis all dieser elektronischen Heinzelmännchen: Man sitzt im Auto, weiß nicht, wohin mit den Händen und beobachtet auf dem Fahrersitz das Geschehen auf der Autobahn auf einmal mit den Augen eines Beifahrers. Eine Perspektive, die neue Horizonte eröffnet.

Der Audi A7 fährt sehr angenehm, macht keine hektischen oder ruckartigen Bewegungen. Er fährt immer wieder vorsichtig auf einen langsameren Lkw auf, immer sicheren Abstand haltend, blinkt nach links und wechselt ganz sanft auf die linke Spur, nachdem er noch einen schnelleren Wagen vorbeigelassen hat. Dann gibt der A7 zügig Gas, beschleunigt und zieht am Lkw vorbei, um sich ein paar hundert Meter wieder, korrekt rechts blinkend, auf die mittlere oder ganz rechte Spur einzuordnen. Das alles vollzieht sich mit einer souveränen Gelassenheit, die man eher dem Chauffeur der Queen zutrauen würde als dem „Fahrer“ eines sportlichen A7. Hier wird deutlich, dass autopilotiertes Fahren nicht nur die technologische Variante evolutionärer Entwicklungen ist, sondern ein Riesen-Fortschritt, Autofahren noch sicherer zu machen. Am „Ende“ einer wohl endlosen Entwicklung steht das Ziel aller Autohersteller: das unfallfreie Fahren.

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Das Mäusekino informiert, wenn der Autopilot eingeschaltet werden kann.

Dem Gewinn an Sicherheit widerspricht es nicht, wenn im mit High-Tech hochgerüsteten A7 ein Ingenieur auf dem Beifahrersitz alles genau überwacht, ganz konventionell den jedem Fahrschüler eingeprägten Schulterblick praktiziert, jeden Spurwechsel aufmerksam im Rückspiegel verfolgt und wie im Fahrschulauto zusätzliche Pedale im Fußraum bedienen könnte. Er musste bei der Autobahn-Testfahrt aber nicht ein einziges Mal eingreifen. Und hier zeigt sich das wesentliche, manche sagen eigentliche Problem der Entwicklung zum automatisieren Fahren: Die rechtlichen Hürden sind noch höher als die technologischen. Doch auch die juristischen Fragestellungen werden irgendwann gelöst sein. Zum Beispiel die Frage nach der Verantwortung im Falle eines Unfalls.

Das ist mit der Grund, warum die von Audi jetzt vorgestellte Entwicklungsstufe serienreif erscheint, aber frühestens 2020 oder sogar noch später in Serie gehen dürfte. Thomas Müller, bei Audi verantwortlicher Entwicklungsleiter der Fahrerassistenzsysteme und dem pilotierten Fahren, macht ein Problem deutlich: „Eine notwendige Unfallanalyse macht es zwingend erforderlich, dass man Daten dazu nach einem Crash auslesen kann.“ Hier kollidiert unser Datenschutz noch mit den Anforderungen an die Unfall-Aufklärung.

Audi-Entwicklungsvorstand Prof. Dr. Ulrich Hackenberg mit Verkehrsminister Dobrindt auf Testfahrt wertete die Er-Fahrung als „weiteren Beleg für die technische Reife und das Potenzial des pilotierten Fahrens“. Hackenberg sieht drei wesentliche Anwendungsbereiche für den Einsatz künstlicher Intelligenz im Auto: „Einerseits zur Unfallvermeidung: Wenn der Fahrer überfordert ist und Gefahr läuft, die Kontrolle zu verlieren oder wenn er unterfordert ist, weil die Fahrt zu monoton ist. Anderseits auch, wenn der Fahrer seine Zeit effektiver nutzen kann und will, zum Beispiel im Stau. Weniger Stress, mehr Sicherheit und ein Gewinn von Komfortzeit sind die Folge.“ Ob dann das Telefonieren mit dem Handy während der Fahrt erlaubt sein wird? Das war sicher nicht das Thema im Gespräch mit dem Verkehrsminister. Aber der hat verstanden, dass die Politik hier helfen kann und helfen muss: „Langfristig lautet das Ziel die komplett vernetzte Straße. Staus und Umweltbelastungen werden reduziert, die Verkehrssicherheit erhöht und die Infrastruktur optimal ausgelastet. Ich sehe große Chancen für den Wirtschafts- und Innovationsstandort Deutschland. Unsere Autoindustrie hat die attraktivsten Produkte in der Welt. Unser Ziel muss es sein, auch beim automatisierten Fahren an der Weltspitze zu bleiben“, sagt Dobrindt, der die Autobahn A9 auf einer Teilstrecke offiziell zur Hightech‑Autobahn erklärt hat. Sie soll als Testfeld für das vernetzte Automobil der Zukunft dienen.

Eine erste Ausbaustufe des automatisierten Fahrens soll im nächsten A8 2017 auf den Markt kommen. Bis 65 km/h soll der Staupilot dann den Fahrer vom lästigen Anfahren und Abbremsen entlasten. Der zweite wesentliche Baustein wird dann als Parkpilot helfen, das Fahrzeug analog zur Längsachse in eine enge Parklücke zum Beispiel im Parkhaus zu platzieren. Die Passagiere können so vorher aussteigen und müssen sich nicht durch den Spalt einer kaum zu öffnenden Türe schlängeln. Das geht natürlich auch vor der eigenen Garage, in die der Audi dann autonom einfährt. Und beim Ausparken genügt ein Knopfdruck am Schlüssel, um den Motor anzulassen und das Fahrzeug vorfahren zu lassen. In der nächsten Entwicklungsstufe muss der Fahrer im Parkhaus nicht mal erst eine Parklücke suchen, sondern stellt das Fahrzeug unten ab, das dann Etage um Etage erklimmt, bis es eine Lücke findet.

Die beeindruckende Testfahrt im A7 Forschungsfahrzeug hat vor allem mental überrascht: 1. Wie schnell man sich auf das vollautomatisierte Fahren einzustellen bereit ist, weil es keinen Moment der Verunsicherung gibt. 2. Wie lange es dauern kann, bis man sich im eigenen Auto wieder daran gewöhnen muss, alles selbst machen zu müssen. Schade, dass die Zukunft noch so weit weg ist, obwohl sie jeden Tag beginnt.

Zudem drängt sich die Frage auf, ob der von Audi gewählte Begriff vom „pilotierten Fahren“ der richtige ist. Denn auch der menschliche Fahrer gilt ja nicht nur im Formel-1-Rennwagen als Pilot am Steuer. Vorschlag zur Güte: Audi-pilotiertes Fahren. Das steckt dann wenigstens akustisch ein Hauch von Auto-Pilot drin.

 

 

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