Gibt Volkswagen in der Formel 1 Vollgas?

Mischt Volkswagen bald mit? Foto: Mercedes-AMG

Warum es gut sein kann, dass der Volkswagenkonzern mit einer seiner zahlreichen Marken in der Formel 1 an den Start gehen wird.

Von Harald Kaiser

Will Volkswagen demnächst im Formel-1-Zirkus auftreten? Nach verschiedenen Meldungen soll bei VW eine Entscheidung unmittelbar bevorstehen, ob der Konzern Teil des Formel 1-Zirkus werden will oder nicht. So meldete es beispielsweise die Nachrichtenagentur Reuters. Webseiten wie motorsporttotal.com, deren Wesen es ist, ausschließlich über die Vollgasszene zu berichten, spekulieren darüber schon länger. Vor Jahren lehnte dies der langjährige VW-Dominator Ferdinand Piëch mit dem Hinweis ab, dass ein Engagement dort reine Geldverschwendung sei.

Sein Nachfolger Herbert Diess bewertet das Thema anders und kann sich eine Teilnahme in der Glamour-Rennserie vorstellen. Vor allem, weil das mediale Interesse an der ehedem ambitionierten Weltmeisterschaft für Elektro-Rennwagen, Formel E genannt, an der der Konzern bis auf weiteres noch mit Porsche teilnimmt, sehr überschaubar ist. Audi und BMW haben sich aus dem weitgehend unpopulären Wettbewerb bereits zurückgezogen, Mercedes fährt noch bis zum Saisonende 2022 und stellt dann den Strom ab.

Zuvorderst werden die Projektplaner von VW versucht haben, das Risiko einer Blamage wie die Chancen auf Erfolg nach ein oder zwei Jahren Anlaufzeit einzuschätzen. Nehmen wir an, die Strategen haben nach Gebirgen von Machbarkeitsstudien schlussendlich die Empfehlung ausgesprochen, dass es für den Autobauer betriebswirtschaftlich wie marktpolitisch lohnenswert erscheint, an dem Multi-Millionen-Dollar-Spektakel teilzunehmen, dann stellt sich die Frage: Mit welcher Marke? Porsche, Audi, Lamborghini oder eben Volkswagen?

Am unwahrscheinlichsten dürfte sein, dass man mit der relativ biederen Marke  Volkswagen auf den internationalen Pisten gegen etablierte Teams wie Mercedes, Ferrari, Renault oder RedBull antreten wird. Zu wenig Sexappeal. Davon hat Lamborghini zu viel. Zu prollig, zu halbseiden. Für die Marke Volkswagen könnte allerdings sprechen, dass sie im Spitzenmotorsport weltweit keine nennenswerte Kontur besitzt, weswegen eine sportliche Imagepolitur aus Marketinggründen womöglich richtig wäre. Andererseits wird es genügend Schlauberger im Konzern geben, die nicht zu Unrecht anführen: Wenn wir da einsteigen, dann nur mit Porsche oder Audi, denn beide haben ein in der Öffentlichkeit seit Jahrzehnten verankertes Vollgasrenommee mit diversen Meistertiteln und vielen Rekorden. Allerdings kann man auch fragen: Brauchen die ohnehin mit starken Sportgenen gesegneten Namen dann überhaupt einen weiteren sportlicheren Anstrich?

Um darauf einigermaßen schlüssig reagieren zu können, muss zunächst ein anderer Punkt erörtert werden: Warum soll der Wolfsburger Autokonzern überhaupt erwägen, sich in das sehr kostspielige und vor allem das von Superegos regierte internationale Getümmel aus Sport, HighTech, Geschäft und Show zu stürzen? Die Antwort steckt in einem Jahrzehnte alten Kernsatz aus der englisch-amerikanischen Motorsportszene. Er lautet: „Win on Sunday sell on monday.“

Diese Motivation, den Verkauf von Alltagsautos mit Hilfe von Rennerfolgen zu pushen, galt insbesondere, als Autoriesen wie Ford vor Jahrzehnten mit entsprechend konkurrenzfähigen Cosworth-Motoren die Szene beherrschten. Heute sind in der Show drei Teams am Start, die nicht nur das Auto, sondern auch eigene Motoren einsetzen: Mercedes, Ferrari und Alpine-Renault. RedBull werkelt inzwischen zwar an eigenen Triebwerken, fährt aber in der aktuellen Saison 2022 noch mit eigenhändig modifizierten Honda-Basismotoren. Mithin ist die weitere Frage, will sich der Volkswagenkonzern ab der Saison 2026, früher ist ein Einstieg auch aus Gründen des Motor-Reglements nicht zu wuppen, nur mit Triebwerken engagieren oder wird in Wolfsburg an ein eigenes Team gedacht?

Zwingend ist ebenfalls die Überlegung, worauf es VW technisch ankommt. Etwa, dass es in der Formel 1 künftig hauptsächlich mit Hilfe eines HighTech-Elektroantriebs mächtig Dampf gemacht wird? In dem Punkt könnte die Formel 1 sogar prima als eine Art Entwicklungsbeschleuniger fungieren. Schließlich müssen in der Vollgasbranche funktionierende technische Lösungen oftmals im Handumdrehen und unter größtem Zeitdruck gefunden werden. Von dem Einfallsreichtum könnten eines Tages die Elektroautos für die Straße profitieren, die ja die Verbrenner ablösen sollen. Der Plan, so es ihn gibt, kann jedoch nur klappen, wenn der mit Porsche- oder Audimotor angetriebene Rennwagen stets mindestens unter den ersten Drei ins Ziel kommt. Sonst drohen auf allen Weltmärkten Spott und Häme, was wiederum zu Umsatzrückgängen führen kann.

Gewährleistet sein muss aus Gründen des Marketings ferner, dass Fernsehübertragungen weiterhin live und weltweit stattfinden. Schließlich soll ja (größtenteils anstelle von klassischer Werbung) hinausposaunt werden, dass die Marke der Hammer ist, sofern am Rennwochenende die Konkurrenz abgehängt wurde. Dafür  ist es nötig, dass Fernsehreporter immer nahe an die Teams ran dürfen und dass die Akteure, Fahrer wie Teamchefs, auch stets für Interviews zur Verfügung stehen — selbst auf das Risiko hin, dass es auch mal unangenehme Fragen oder sogar Kritik gibt.

Nur dann und mit einer ordentlichen Portion Nachberichterstattung in Online- wie Print-Medien ließe sich der Traum von „Win on sunday sell on monday“ womöglich auch erfüllen. Mit anderen Worten: Es muss ein spannender, unterhaltsamer und schillernder Zirkus mit motorisierten Raubtieren sein, über den möglichst viele reden nach dem Motto: „Haste gesehen, wie Porsche die Konkurrenz am Wochenende verblasen hat…?“

Der letzte Punkt, ganz sicher einer der wichtigsten, betrifft die Frage der Fahrer, die Siege ansteuern sollen. Piloten aus der ersten Garde wie Lewis Hamilton (Mercedes) oder Max Verstappen (RedBull) sind nicht unter 50 Millionen Dollar Jahresgage zu bekommen, wenn überhaupt. Denn die Stars haben zumeist längerfristige Vertrage. Dürfen es stattdessen auch Nachwuchshoffnungen, sogenannte Rookies, sein? Wohl eher nicht, jedenfalls nicht als Nummer-Eins-Fahrer im Zwei-Auto-Team. Denn bereits erworbene WM-Titel, die damit verbundene Prominenz und die Erfahrung erhöhen nicht nur die Aussichten auf Siege, sie befeuern auch das Marken-Renommee und die Medien-Aufmerksamkeit.

Angesichts dessen, dass all die aufgeführten Faktoren noch unklar sind oder lediglich ein Plan, der beim Kampf auf der Piste um Hundertstelsekunden schnell Makulatur werden kann, wenn ein VW-Pilot undiszipliniert und übermotiviert einen Konkurrenten von der Piste rempelt, müssen sich die VW-Verantwortlichen auch fragen: ‚Sollen wir nicht besser die Finger davon lassen? Schließlich kann es ja sein, dass das technische Paket sich als nicht konkurrenzfähig erweist. Oder dass wir die falschen Fahrer engagiert haben. Dann Gnade uns Gott vor den vernichtenden Schlagzeilen.’

Passiert das, ist die Blamage unvorstellbar peinlich, das weltweite Abwatschen äußerst schmerzhaft, der Ruf ruiniert und die zig Millionen oder gar Milliarden Euro für den Ausflug in denn letztlich unkalkulierbaren Rennzirkus sind verbrannt. Gar nicht zu reden vom mächtigen VW-Betriebsrat, der dann in der Besserwisserrolle steckt und monieren würde, dass das viele Geld besser für Gehaltserhöhungen der Belegschaft ausgegeben worden wäre.

Kommst es anders, dürfte das sich dann bietende Szenario ähnlich ausfallen wie jenes beim Bau der Elbphilharmonie in Hamburg: Ursprünglich sollte sie 80 Millionen Euro kosten, mehr als 800 Millionen hat sie am Ende verschlungen. Das Geschrei von Verschwendung und Fehleinschätzung der kulturellen Erfolgsaussichten verklang über Jahre nicht. Weil die „Elphi“ inzwischen jedoch ein Publikumsmagnet Hamburgs und überhaupt eine musikalische Attraktion geworden ist, redet heute niemand mehr über die explodierten Kosten. Stattdessen ist der internationale Applaus unüberhörbar. Man stelle sich aber vor, der alte Backsteinspeicher, auf dem die Elphi stolz aufragt, der wäre unter der Last des imposanten Aufbaus zusammengebrochen. Nicht auszudenken.

Der ehemalige Rennfahrer und heutige RedBull-Berater Helmut Marko antwortet auf die Frage, ob VW als Motorenlieferant für das Team infrage käme, dass „wir der attraktivste Partner sind für einen Hersteller, das ist, glaube ich, logisch“. Nicht zuletzt, weil Max Verstappen letztes Jahr am Steuer solch eines Bullen-Renners den Titel des Fahrerweltmeister gewonnen hat. Und genau deswegen wäre RedBull mit Verstappen als Top-Piloten eine Art gemachtes Bett, in das sich Volkswagen nur noch hineinlegen müsse. Doch weil nichts entschieden ist arbeitet die Rennabteilung des österreichischen Brause-Herstellers weiter an einem eigenen Motor, der gegenwärtig in der 2021 gegründeten Firma RedBull Powertrains Ltd. (Milton Keynes/England) entwickelt wird. Denn Honda will nur bis Ende 2025 Motorenunterstützung liefern.

Gut möglich ist indes auch, dass Honda es sich noch anders überlegt, sollte VW tatsächlich in dem Glamour-Zirkus rund um die Welt auftreten wollen. Wie es überhaupt sein kann, dass der Kräftevergleich auf höchstem Technikniveau eine Kettenreaktion unter renommierten Herstellern auslösen und auch auf Toyota oder BMW einen großen Reiz ausüben könnte, wieder in der Weltliga an den Start zu gehen. Marketingstrategen jedenfalls reiben sich schon bei dem Gedanken daran die Hände, dass die Meisterschaft umso reizvoller würde, je mehr namhafte Hersteller sich dieser Herausforderung stellen. Gelänge das, flössen auch hunderte Millionen an Sponsorgelder, wenn sich die Auto-Weltmarken in den Asphaltarenen präsentieren und den stark an Gladiatorenkämpfe erinnernden Nervenkitzel dank modernster Antriebstechnik sogar einigermaßen umweltfreundlich zelebrieren könnten.

Kommentar hinterlassen zu "Gibt Volkswagen in der Formel 1 Vollgas?"

Hinterlasse einen Kommentar

E-Mail Adresse wird nicht veröffentlicht.


*