Es ist schon frappierend, wie offen Manager ihre Überzeugungen öffentlich machen (können), wenn sie nicht mehr auf ein gutes Verhältnis zur Bundeskanzlerin angewiesen sind.
Jüngstes Beispiel ist der Ex-BMW-Vorstand Wolfgang Reitzle, der nach einer Station bei der Ford Premium Automotive Group die Firma Linde zum weltweit größten und erfolgreichsten Gase-Unternehmen geformt hat. Seine jüngste Kritik in der „Welt am Sonntag“ am Versagen der Bundesregierung in der Wirtschafts- und Corona-Krise ist an Deutlichkeit nicht zu übertreffen.
Der Chairman von Linde, dem wertvollsten DAX-Konzern, nennt Deutschland auf allen relevanten Feldern „einen Sanierungsfall“. Und: „Bürokratie im Faxzeitalter stecken geblieben, Digitalisierungsrückstand, kein schnelles Internet, massive Mängel in der Infrastruktur und marode Schulen sind nur einige Beispiele für Defizite, die für ein führendes Industrieland beschämend sind.“ Dieses vernichtende Urteil dürfte weder Bundeswirtschaftsminister Peter Altmeier noch der Kanzlerin gefallen.
Berlin nennt Reitzle „eine der wohl am schlechtesten regierten Hauptstädte Europas“. Das Wegschauen bei Kriminalität, das Zulassen von Hausbesetzungen und die Ausbreitung der Clan-Kriminalität – wo immer man hinschaut: Berlin ist eine dysfunktionale Stadt, ein ,failed state‘.“
Immer wieder äußert sich Reitzle auch kritisch über die Intention der Verantwortlichen, die Elektromobilität mit der Brechstange einführen zu wollen, ohne gleichzeitig die notwendige Infrastruktur massiv auszubauen. Er zweifelt zwar nicht an der langfristigen Elektromobilität, aber dieser werde und müsse eine langsame Entwicklung vorausgehen. Siehe auch https://www.youtube.com/watch?v=Qa0dI38d-QM
Schon im letzten Jahr ist Reitzle durch harsche Kritik an der Bundesregierung aufgefallen: Das „Corona-Gesetz“ sei ein „Angriff auf den Rechtsstaat“. Und: „Jeder vernünftige Mensch muss dies als eine Art Notstandsgesetz ansehen, was die Spielregeln in unserem Rechtsstaat grundlegend ändert. Diese irrwitzigen Rettungspakete mit diesen astronomischen Summen werden zwangsweise in einer stagnierenden Wirtschaft zu hoher Inflation führen“, sagte Reitzle der Bild-Zeitung.
Es müssten vielmehr kreative, kritische Geister ihre Stimmen gegen dieses unseres Entwicklungsland erheben. Herzog Talleyrand offerierte mit seiner Typologie des Politikers bereits Anfang des 19. Jahrhunderts die überzeugende Erkenntnis: Klug und fleißig – gibt’s nicht; klug und faul bin ich selbst; dumm und faul – für Repräsentationszwecke noch einetzbar; dumm und fleißig – davor behüte uns Gott!!!