BMW 120 d: Das Ende heckgetriebener Vorurteile

Der neue Einser mit "sharknose"-Profil

Es ist wieder mal Zeit, Vorurteile über Bord zu werfen: Der BMW 1er galt lange dank seines Heckantriebs als Solitär in der Kompaktklasse und als Garant für sportlich anspruchsvolle Fahreigenschaften. Der von BMW-Liebhabern (auch von mir!) kritisierte Abschied von der angetriebenen Hinterachse würde nicht nur am sportiven Image der Marke, sondern auch am Fahrverhalten kratzen, wurde unterstellt. Der von uns aktuell getestete BMW 120 d hat alle Frontantriebs-Bedenken in Luft aufgelöst.

Auch ich habe kritisiert, dass BMW das eherne Heckantriebs-Prinzip zugunsten der Frontantriebs-Technik aufgeben würde. Jetzt mit „Front-Erfahrung“ verweigere ich mich dem Geschrei vom Untergang bayerischer Fahrfreude, die in unserer (früheren) Vorstellung nur mit Heckantrieb erreichbar schien. Mögen die Nockenwellen-Lyriker noch so sehr trauern: Fahrfreude hängt nicht am Heckantrieb, wie wir im 120d er-fahren haben.

Trotzdem: Wer hätte das gedacht? Dass sich ein 1er auch mit Frontantrieb dynamisch, agil und fahrfreudig bewegen lässt, verblüfft auch eingeschworene Heckantrieb-Fans. Und Fan*innen. Im Ernst: Die Freude am Fahren ist legendär. Und sie wird es bleiben. Fünf Jahre haben die BMW-Ingenieure an diesem Frontantrieb entwickelt, gefeilt, gebürstet und feingetunt. Das Ergebnis ist frappierend. Der Einser hat uns fahrdynamisch dermaßen überzeugt, dass es schwerfällt, Kritisches zu formulieren. Er sitzt wie ein Maßanzug, bietet vor allem hinten mehr Platz als der Vorgänger, vermittelt sofort ein Gefühl von Detail-Qualität und erzeugt nur beim Durchlesen der Preisliste Stirnrunzeln.

Nur die Aufpreisliste sorgt für Stirnrunzeln

Die Perfektion unseres Testwagens setzt einen Aufschlag von knapp 50 Prozent des Basispreises (36.600 Euro) in Höhe von 17.860 Euro voraus. Der Bruttolistenpreis unseres Testwagens von 56.560 Euro ist schon eine Ansage. Immerhin für ein Fahrzeug der Kompaktklasse. Mag sein, dass diese banale Klassifizierung nicht mehr angemessen ist, zumal weil sich Luxus und Premium schon lange nicht mehr an der Fahrzeuggröße bzw. Klassifizierung festmachen lässt. Insofern ist Luxus auch in der kleinsten

„Hütte“ angekommen. Und vor allem zu spüren. Nur ein Beispiel: Wenn deine Hände in diesem 1er das üppige Lederlenkrad anfassen, wird dir schlagartig klar, was ein haptisches Erlebnis ist. Dass im 1er-Innenraum bis auf ganz wenige Ausnahmen rundum wertige Materialien verbaut sind, muss nicht hervorgehoben werden. Auch im Kompakt-Segment gehört hartes Plastiko-Fantastiko längst der Vergangenheit an. Dies gilt für alle Premium-Hersteller.

Dass dieser BMW 120d mehr ist als die Aufpreis-Summe seiner Extras, mildert den Schmerz beim Zusammenrechnen der Extras. Man kauft sich mit dem BMW schließlich nicht nur ein A-nach-B-Auto, sondern ein Automobil, das mit einem High-Tech-Diesel ausgestattet ist, der in allen Kriterien glänzt: Drehmoment, Laufruhe, Abgasverhalten und Verbrauch. Ein Automobil, das die weite Reise über die Autobahn ebenso angenehm macht wie die Fahrt morgens zur Arbeit.

Sportive Fahreigenschaften dank High-Tech-Diesel

Der neue 120d ist in seiner Gesamtheit rundum gelungen; er ist leise, extrem sparsam und dennoch hoch dynamisch. In Zahlen ausgedrückt: 0 auf 100 km/h in 7,3 Sekunden, Höchstgeschwindigkeit 231 Stundenkilometer sind Werte, die objektiv bemerkenswert sind. Obwohl wir hochdynamisch unterwegs sind, liegt unser Durchschnittsverbrauch zwischen 4,8 und 5,5 Liter Diesel. Mit einer Tankfüllung lassen sich spielend 1.000 und mehr Kilometer zurücklegen. Da fällt es schwer, ein E-Mobil in Erwägung zu ziehen. Jedenfalls dann, wenn man Fahrten nie mit der Frage im Hinterkopf beginnen möchte: Wo kann ich laden? Das wird sich zwar langfristig ändern, aber die Dauer des Ladevorgangs wird sich wohl nie mit der Tankzeit an der Diesel-Zapfsäule messen können. Es wird Zeit, dass wir Diesel-Fans auf die Straße gehen… Kritik am Selbstzünder ist angesichts dieses modernen Treibsatzes völlig daneben.

Noch einmal: Dass BMW im Einser das Alleinstellungsmerkmal Heckantrieb in der Kompaktklasse aufgegeben hat, ist kein Nachteil. Außerdem wollen 99 Prozent der Kunden mit dem Kauf eines 1er ein dynamisch- komfortables Automobil haben, kein Sportgerät, mit dem sie die Nordschleife des Nürburgrings in unter 8 Minuten umrunden können. Apropos: Tatsächlich wäre es den Versuch wert, wie nahe der 120d an diese Zeit herankommen könnte. Ganz bestimmt näher, als es ihm mancher Kritiker des Frontantriebs zutrauen würde.

Auch ich habe kritisiert, dass BMW das eherne Heckantriebs-Prinzip zugunsten der Frontantriebs-Technik aufgegeben hat. Jetzt mit „Front-Erfahrung“ verweigere ich mich dem Geschrei vom Untergang bayerischer Fahrfreude, die in unserer (früheren) Vorstellung nur mit Heckantrieb erreichbar schien. Mögen die Nockenwellen-Lyriker noch so sehr trauern: Fahrfreude hängt auch bei BMW nicht am Heckantrieb, wie der neue Einser beweist. Und wer unbedingt angetriebene Hinterräder auch im Einser haben will, kann den Einser ja mit X-Drive kaufen.

Die Detailarbeit der Ingenieure am Fahrwerk hat sich ausgezahlt

Das gesamte Fahrverhalten ist wieder, nein: noch immer typisch BMW. Zum Beispiel: Die elektromechanische Servolenkung gibt dem Fahrer die sensible Wahrnehmung einer präzisen Fahrzeugkontrolle. Das auf nasser Fahrbahn in schnellen Kurven spürbare, leichte Untersteuern ändert nichts daran und lässt keine Sehnsucht nach dem Hinterradantrieb aufkommen. Fahrdynamisch ist der Frontantrieb absolut kein Nachteil. Um es zu wiederholen: Du spürst, wieviel Detailarbeit die Fahrwerks-Ingenieure hier geleistet haben, um Abstriche an Agilität zu verhindern. Es ist ihnen gelungen. Zu verdanken ist dies auch der so genannten „Aktornahen Radschlupfbegrenzung“. Der High-Tech-Terminus ist kaum zu übersetzen; für den Laien ist nur wichtig, dass die Schlupfregelung schneller und sensibler eingreift als bisher. Damit wird das von den Ingenieuren Leistungsuntersteuern genannte Verhalten fast ganz eliminiert, das bei weniger sorgfältig abgestimmten Frontantrieblern besonders auf rutschigem Untergrund beim Anfahren mit hoher Leistung unangenehm in Erscheinung tritt.

Noch ein paar Worte zum Design. Die beim Vorgänger angewandte Unauffälligkeit ist insgesamt einer expressionistischen Formgebung gewichen. Auffallend vor allem von außen: die in die Motorhaube gewachsene, dominante Niere. Die keilförmig nach hinten ansteigende seitliche Sicke, die coupéartig abfallende Dachlinie, das gekonnt formulierte Heck machen deutlich, dass sich die Designer aus der eher braven Bescheidenheits-Ecke hervorgewagt haben. Der Einser steht noch mehr als sein Vorgänger präsent auf der Straße, egal aus welcher Perspektive man ihn betrachtet. Die Qualität der Formgebung ist an kleineren Fahrzeugen viel schwieriger umzusetzen als an großen. Beim neuen Einser summieren sich die Design-Details zu mehr als nur Augenblicks-Gefälligkeit. Der neue Einser ist nicht nur technologisch, sondern auch formal zukunftstauglich. Das bedeutet, dass er nicht schnell altern wird, wie es an manchen Strohfeuer-Designs zu sehen ist, die kurz begeistern, aber schnell erlöschend langweilig in sich zusammenfallen.

Assistenten können auch lästig werden

Die Armaturen, der gesamte Arbeitsplatz des Fahrers ist sowohl ergonomisch als auch ästhetisch auf hohem Niveau angesiedelt. Was auch sonst? Anders als zum Beispiel Volkswagen im neuen Golf 8 hat BMW einen Kompromiss zwischen konventioneller Knopfdruck-Philosophie und digitalem Informationsangebot gefunden. Zwei Displays mit bis zu 10,25 Zoll im optionalen BMW Live Cockpit Professionell und einem optionalen, erstmals im Einser verfügbaren Head-up-Display stehen dem Fahrer alle wichtigen und unwichtigen Informationen zur Verfügung. Das Touch-Display mit dem sehr schnell reagierenden Navigationssystem und anderen Kontrollmöglichkeiten, die für meinen Geschmack völlig überflüssige Gesten-Steuerung, die noch nicht ganz perfekt zuhörende Spracherkennung und zahlreiche Assistenten sind teilweise gegen Aufpreis mit an Bord.

Assistenten können auch lästig werden: Als störend nicht nur in diesem BMW empfinden wir die aktive Lenkung beim Verlassen der Spur. Manchmal hat man den Eindruck, dass zu früh eingegriffen wird, manchmal sehr spät. Es stellt sich nur schwer ein Gefühl souveräner Verlässlichkeit ein. Mag sein, dass nach längerem Umgang mit diesem System die Wahrnehmung eine andere ist, weil Vertrauen in ein solches System Zeit braucht.

Warum die aktive Geschwindigkeits- und Abstandsregelung nur bis 160 km/h nutzbar ist, erschließt sich uns nicht ganz. Ok, wer schneller fährt, sollte selbst auf den Abstand achten, aber das machst du auch bei 130 km/h ohnehin trotz automatischer Abstandsregelung. Der Einparkassistent funktioniert hervorragend, endlich gelingt das automatisierte Einparken auch in enge Lücken. Die Nutzbarkeit des Rückfahrassistenten haben wir nicht ausprobiert. Er speichert die Lenkbewegungen auf einer vorwärts bis 36 km/h schnell gefahrenen Strecke bis zu 50 Meter. Automatisch fährt das Fahrzeug mit bis zu 9 km/h nun rückwärts auf der zuvor vorwärts gefahrenen Linie. Mir ist jetzt keine Situation geläufig, in der dies helfen würde. Die induktive Ladeschale für das smart-Phone erfordert eine gewisse Fummelei beim Einlegen des Smartphones, ein deutlicher Hinweis, wenn der Ladevorgang initiiert ist, wäre hilfreich. Insgesamt steckt der Einser voller innovativer technologischer Details, die überwiegend praktisch und sinnvoll sind.

Wenn der Fahrer beim Weggehen vom Fahrzeug deutlich hört, dass sich der Einser automatisch abschließt, weißt du, dass die Zukunft nicht nur digital, sondern auch sehr praktisch geworden ist.

Technische Daten BMW 120d : viertüriger Kompakt-Limousine, Länge: 4,32 Meter, Breite: 1.79 Meter, Höhe: 1,43 Meter, Radstand: 2,67 Meter, Wendekreis: 11,4 Meter, Leergewicht: 1.450/1525 Kilogramm, Kofferraumvolumen: 380 bis 1.200 Liter, Tankinhalt: 50 Liter, Motor: Reihenvierzylinder-Diesel mit TwinPower Turbo, Hubraum 1995 ccm, Leistung: 190 PS bei 4000 U/min, max. Drehmoment: 400 Newtonmeter zwischen 1.750 und 2.500 U/min, 0 – 100 km/h: 7,3 Sekunden, Automatik Steptronic, Höchstgeschwindigkeit: 231 km/h, Verbrauch EU-Zyklus: 4,6 Liter Diesel/100 km, CO2-Emission: 121 g/km, Effizienzklasse A, Emissionsklasse EU 6d, Preis ab: 36.600 Euro/Testwagen 56.560 Euro.

BMW Einser-Cockpit
Die Niere ist markant gewachsen

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