Ein interessanter Beitrag zum Thema Sperrfristen….

Es soll nicht die Regel werden, dass hier veröffentlichte Texte nachgedruckt werden. Aber was der Kollege Stefan Anker von der Welt http://bigblog.welt.de/ zu Sperrfristen allgemein und zu denen der S-Klasse schreibt, ist nicht nur interessant, sondern irgendwie auch ehrenhaft. Anker spricht die Probleme an, bleibt aber dabei, sich an Vereinbarungen zu halten. Vorbildlich! Mag es die breite Öffentlichkeit auch nicht interessieren: Mal aufzuzeigen, in welchen Terminproblemen ein Autoredakteur gefangen ist, wird so transparent. Auch für die Presseabteilungen der Autohersteller. Und auch für die Chefredakteure, die ahnungslos zu fragen pflegen „Warum haben wir das Thema nicht vor der Konkurrenz?“

Hier der Text von Stefan Anker:

Gestern bin ich mit der neuen Mercedes S-Klasse gefahren, als einer von nicht übermäßig vielen Journalisten. Ich könnte also schön etwas Exklusives darüber schreiben, aber es gibt einen guten Grund, es nicht zu tun.

Der Grund heißt Sperrfrist. Das ist eine interessante Erfindung, die auf gegenseitigem Vertrauen basiert und gegenseitigen Nutzen bringt. Mein Vorteil ist, dass ich eine längere Dienstreise spare (die eigentliche Pressevorstellung der S-Klasse findet Anfang Juli in Toronto statt) und zum Ablauf der Sperrfrist am 2. Juli keinen blitzartig zusammengeschriebenen Bericht online stellen muss. Mercedes’ Vorteil liegt nicht ganz so klar auf der Hand: Ich nehme an, sie hoffen einfach, dass ich mit etwas Ruhe etwas Ausführliches für die “Welt” über ihr Auto schreiben kann. Bei den ebenfalls eingeladenen Fachzeitschriften w i s s e n sie dagegen, dass die nur unter dem Schutz der Sperrfrist (wegen der langen Vorlaufzeiten im Magazin-Druck) eine individuell fotografierte  Geschichte machen können – und daran sind beide Seiten interessiert. Ich laufe in diesem Spiel nur so mit, freue mich aber über die ruhigere Atmosphäre beim Termin (inklusive besser verfügbaren Gesprächspartnern) – und natürlich über das Vertrauen.

Zwar unterschreibt man in der Regel für die Einhaltung der Sperrfristen (manchmal werden für Verstöße auch Geldstrafen, z.B. 50.000 Euro angedroht), aber ich habe noch nie davon gehört, dass Sperrfristbrecher tatsächlich zu irgendwelchen Zahlungen herangezogen wurden. Ich könnte also wahrscheinlich hier locker erwähnen, wie die S-Klasse so fährt. Mache ich aber nicht. Mache ich nie.

Ich ziehe meistens noch nicht einmal nach, wenn andere vor mir die Sperrfristen gebrochen haben, was in der Online-Welt durchaus passiert. Ich bin da altmodisch: Wenn jemand mir entgegenkommt, muss ich ihm ja nicht als Dank vors Schienbein treten. Beim Mercedes allerdings könnte es anstrengend werden, nett zu bleiben, weil mein Vorteil sich auch in einen Nachteil verwandeln könnte. Denn für die S-Klasse haben sie sich eine seltsame Sperrfrist ausgedacht: 2. Juli ohne Uhrzeit für Print und 2. Juli, 18 Uhr für Online.

Das bedeutet: In Zeitungen, die am 2. Juli erscheinen, darf ein Fahrbericht stehen. Der 2. Juli ist ein Dienstag, da gibt es in der “Welt” keine Motorseite, aber bei diesem zweifellos bedeutenden Modell könnten wir uns ja außer der Reihe für einen Fahrbericht entscheiden. Das kann ich natürlich jetzt noch nicht wissen, das bestimmt ja auch der Chefredakteur,  und er trifft diese Entscheidung sicher nicht vor dem 1. Juli.

Zeitungen, die am 2. Juli erscheinen, werden am 1. Juli  gedruckt und teilweise auch schon ausgeliefert (Kneipenverkauf). Das soll nicht mein Problem sein, man kennt diesen Zusammenhang bei Mercedes sicher und hat ihn bedacht. Aber wenn in der “Welt” tatsächlich Montagabend/Dienstagfrüh schon ein Fahrbericht steht, warum darf der denn auf welt.de erst Dienstagabend erscheinen? Nun gut, wenn ich mir selbst Konkurrenz mache, ist das ja nicht so schlimm. Doch der 2. Juli ist nun mal ein Dienstag, und dienstags erscheinen die “Technik und Motor”-Seiten der “FAZ”. Ohne dass ich mit dem “FAZ”-Kollegen, der gestern auch da war, darüber geredet hätte, bin ich doch sicher, dass er seine Geschichte am 2. Juli in der Zeitung hat. Welche Onlineplattform soll denn da stillhalten bis zum 2. Juli um 18 Uhr?

Na ja, wahrscheinlich alle, die keinen Reporter zur Vorab-Präsentation der S-Klasse schicken konnten. Aber wenigstens zwei habe ich gesehen, und haben nicht “AutoBild”, “auto, motor und sport” und die “Auto-Zeitung” auch Onlineseiten? (Und die Autozeitschriften sind eher unzimperlich, wenn es ums Sperrfristbrechen geht.) Außerdem werden ja die ersten Kollegen während der Fahrvorstellung am 1. und 2. Juli in Kanada die Gelegenheit haben, ganz schnelle Berichte abzufeuern.

Die S-Klasse gehört für mich neben VW Golf und Porsche 911 zu den drei wichtigsten und interessantesten Autos überhaupt. Weil man wahrscheinlich jeden Deutschen nachts wecken kann und ein – wenn auch verschlafenes – Ja erhält auf die Frage, ob er eins von diesen Autos kenne. Das gilt selbst für Menschen, denen Autos egal sind.

Ich habe also ein erhebliches Interesse daran, dass möglichst viele Leute meinenFahrbericht zur S-Klasse lesen und nicht irgendeinen anderen, der früher als meiner erscheint, weil da jemand die Sperrfrist gebrochen hat. Also werde ich am 2. Juli am Schreibtisch sitzen und misstrauisch ins Internet hinausschauen. Ich werde auf keinen Fall die Sperrfrist als erster brechen. Es ist auch okay für mich (na ja, halb okay), dass die “FAZ” einen kleinen Vorteil hat, die Sperrfrist-Termine werden von den Autoherstellern so gesetzt, dass mal der eine, mal der andere vorn liegt. Wir hatten in der “Welt” auch schon die Gelegenheit, am Wochenende vor dem Erscheinen von “Technik und Motor” wichtige Geschichten zu veröffentlichen. Wenn sich aber am 2. Juli zwei, drei oder noch mehr Onlineplattformen über die Sperrfrist hinwegsetzen, weil sie den Rückstand gegenüber der “FAZ” nicht ertragen, soll ich dann dabei zusehen und mit meinem Text leer ausgehen?

Der Ehrliche wäre dann der Dumme – um dieses Dilemma zu vermeiden, könnte man natürlich auch eine andere Regelung finden, es ist ja noch ein bisschen Zeit bis zum 2. Juli. Und es wäre auch nicht das erste Mal, dass  Sperrfristen angepasst und verändert würden. Auf 0 Uhr zum Beispiel oder 6 Uhr oder wenigstens 9 Uhr morgens. Nur mal so als Idee.

 

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